Natan Sznaiders Buch „Die jüdische Wunde“ ist nicht leicht zu lesen. Das liegt an dem wissenschaftlichen Stil, in dem der Soziologe schreibt, vor allem aber daran, dass er den nichtjüdischen deutschen Lesern liebgewonnene Gewissheiten nimmt. Zum Beispiel den Glauben an die Kraft der Aufklärung. „Die Aufklärung war die Geburtsstunde des ‚unsichtbaren‘ Juden“, schreibt Sznaider. „Als die Moderne das Prinzip ‚Gemeinschaft‘ durch das Prinzip ‚Gesellschaft‘ ersetzt, wird dies zu einer Anklage gegen Juden.“
Sznaider beginnt seine Betrachtung bei dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing, der „Nathan der Weise“ schuf. Er durchläuft die deutsche Gesellschafts- und Kulturgeschichte bis heute und analysiert, wie Juden ihr „Leben zwischen Anpassung und Autonomie“, so der Untertitel, gestaltet haben. Sznaider schreibt über Karl Marx und Hannah Arendt, die Zeit des Nationalsozialismus, Postkolonialismus und Kunst und nimmt auch Israel in den Blick, wo der gebürtige Mannheimer heute in Tel Aviv lebt.
Die jüdische Wunde wird nicht heilen. Sie ist nach dem Massaker der Hamas-Terroristen an 1200 Israelis noch tiefer geworden. Jüdinnen und Juden sind in Deutschland offener Gewalt ausgesetzt, sobald sie als Juden sichtbar werden.
Natan Sznaider plädiert für Sichtbarkeit und Autonomie. Juden sollen ihre Religion leben und die Zugehörigkeit zu ihrer Gruppe zeigen und eben nicht angepasst in der nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft verschwinden. Eine anregende und wichtige Lektüre.