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Prälatur Reutlingen

5 Jahre Rat der Religionen in Reutlingen

REUTLINGEN – Vor fünf Jahren wurde der Rat der Religionen in Reutlingen gegründet, zehn Glaubensrichtungen gehören ihm heute an – auch für Juden und Muslime ein wichtiges Forum. Von Wolfgang Albers

Reutlingen
Wolfgang Albers

Die Szene ging durchs Internet. Es regnete heftig, ein Mann stand dem schutzlos ausgeliefert, da hielt ein anderer seinen Regenschirm über ihn. Klingt banal – aber die Umstände waren das komplette Gegenteil: Es war, an der Marienkirche Reutlingen, ein Trauer-Treffen zum ersten Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel. Und es war ein islamischer Imam, der seinen Regenschirm schützend über einen Juden hielt.

Rat der Religionen Reutlingen: Ein voller Erfolg

Eigentlich zieht diese Szene ein Fazit: Es war sinnvoll und erfolgreich, im Frühjahr 2020 in Reutlingen einen Rat der Religionen zu gründen – der der Initiator des Trauer-Treffens war. Dieser Zusammenschluss, dem Christen unterschiedlicher Konfession, Muslime, die Israelitische Religionsgemeinschaft, Griechisch-Orthodoxe und die Bahai-Gemeinde angehören, feierte kürzlich sein fünfjähriges Bestehen.

„Um in der Öffentlichkeit als religiöse Menschen leben zu können – das war ein Hauptmotiv“, sagt Frieder Leube. Der evangelische Diakon im Ruhestand ist einer der beiden Sprecher des Rates (der Imam Yusuf Celep ist der andere) und war vor fünf Jahren einer der entscheidenden Initiatoren des Projekts.

Hauptziele des Rats der Religionen:

  • ein friedliches Zusammen­leben der Religionsgemeinschaften untereinander und mit der Stadt­gesellschaft fördern undzu gestalten
  • freie Religionsausübungzu unterstützen
Frieder Laube hat ein Mikrofon in der Hand und hält eine Rede
Wolfgang Albers
Sprecher des Rats und engagierter Vermittler in allen Problemlagen: der evangelische Diakon Frieder Leube.

Was hat der Rat der Religionen bewirkt

Was sich in diesen letzten fünf Jahren entwickelt hat, hat Frieder Leube auf dem Trauer-Treffen gesehen, nicht nur in der Regenschirm-Szene, sondern auch im gemeinsamen Gebet für Frieden, ungeachtet der unterschiedlichen Sicht auf den Gaza-Konflikt.

So etwas wäre vor fünf Jahren nicht möglich gewesen. Aber man hat sich mittlerweile so gut gekannt, dass man sich nicht aus dem Weg gegangen ist – wie es in anderen Städten geschehen ist.

sagt Frieder Leube

So gut sind inzwischen die Kontakte, dass die Israelitische Reli­gionsgemeinschaft auch einen ungewöhnlichen Vertrauensbeweis gab. Der Rat trifft sich nämlich zu seinen Sitzungen reihum in den ­Gebäuden der verschiedenen Reli­gionsgemeinschaften. Und so lud die israelitische Gemeinde auch zu sich ein. Klingt wieder banal – aber man muss wissen: Den Ort ihrer ­Zusammenkünfte halten sie aus ­Sicherheitsgründen geheim. Dass jetzt auch Muslime die Adresse ­kennen, setzt die Gemeinde einem ­potentiellen Risiko aus, das sie aber eingegangen ist.

Konflikte im Rat der Religionen Reutlingen

Natürlich gab es in all der Zeit nicht nur harmo­nische Momente. Schon inner-­islamisch gibt es ja Gegensätze. Die traten auf, als ein islamisches ­Forum Mitglied werden wollte. Dieses wird aber der Gülen-Bewegung zugerechnet, die der türkische Staat für den gescheiterten Putsch verantwortlich macht. Und dieser Staat ist Vorgesetzter der Religionsbehörde Ditib, zu der eine Reutlinger Muslim-Gemeinde gehört.

Gülen und Ditib, das war also Feuer und Eis. Frieder Leube stattete unzählige Besuche ab, trank unzählige Tassen Tee, führte unzählige Gespräche. Der Mann hat Geduld und auch das Ansehen eines honorigen Vermittlers: „Ohne Beziehungsarbeit ist interkulturelle religiöse Arbeit nicht möglich.“ Am Ende stand ein Kompromiss: Das Forum ist, weil ein Verein, nicht Mitglied im Rat, aber wird in einzelne Veranstaltungen eingebunden.

Der Rat der Religionen Reutlingen setzt sich für interreligiöse Verständigung ein und ist erreichbar über seine Website.

Rat der Religionen berät die Politik

Mittlerweile hat sich der Rat auch in der Stadtgesellschaft etabliert. Die Stadtverwaltung ist beratendes Mitglied und nützt die Expertise des Rates – als es zum Beispiel um ein muslimisches Gräberfeld ging. Und umgekehrt, so Frieder Leube, habe die Moschee gute Erfahrungen mit der Kommune gemacht: „Da bildet der Rat die Brücke von der Religionsgemeinschaft zur Stadt.“

Brücken bauen durch Austausch

Und eben eine Brücke der Religionsgemeinschaften untereinander. Deshalb hat der Rat ein Fotoprojekt zum Jubiläum initiiert. Frauen und Männer erzählen von sich und ihrem Glauben. Auf Ausstellungsbannern ist alles dokumentiert. Und je mehr es zu so einem Austausch kommt, desto mehr steige auch die Akzeptanz bei denen, die solchen Bewegungen skeptisch gegenüberstehen, denkt Leube. Deshalb wünscht er sich, dass noch mehr Religionsgemeinschaften dem Rat beitreten.

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