Prälatur Reutlingen

Reutlinger Markteid: Haltung gezeigt

REUTLINGEN – Die Stadt Reutlingen gehörte zu den frühen Anhängern der Reformation in Deutschland. Eine Vortragsreihe erinnert an den Reutlinger Markteid. Von Wolfgang Albers

Statue aus Stein von Matthäus Alber Reutlingen
Foto: Wolfgang Albers
Ein Prediger von Gewicht: Matthäus Alber

Sie hatten einen Ring gebildet, die Reutlinger Bürger – so wie es die aufständischen Bauern auch machten, wenn sie sich zur Beratung zusammenfanden. Und ihn mit Spießen gesichert, so dass keiner hinauskonnte. Vor allem nicht die Ratsherren. Bis diese samt den Bürgern schworen: Matthäus Alber bleibt Prediger. Vor 500 Jahren war das – und ist als Reutlinger Markteid in die Geschichte eingegangen.

Dass da einer seinen Job behält – das klingt ja zunächst nach einer unspektakulären Nachricht. Aber diese Tage im Mai 1524 waren dramatisch – und entscheidend für die Reformation in Reutlingen. Deren Gedanken hatten nämlich durch Matthäus Alber Fuß gefasst in der Reichsstadt. Der gebürtige Reutlinger war Priester in der Stadt – aber einer mit einer besonderen Funktion: Er war als Prädikant, also Prediger, an der Marienkirche angestellt. Anders als seine rund 40 Reutlinger Kollegen musste er nicht im Akkord Messen feiern, sondern konzentrierte sich eben auf das intensive Predigen.

Prädikanten waren deshalb gut ausgebildet. Matthäus Alber hatte in Tübingen und Freiburg studiert – und Philipp Melanchthon kennengelernt sowie Martin Luther gelesen. Da blieb was hängen. Und das hörte man bald auch in Reutlingen. Aber eben auch anderswo: Und so begann der Bischof von Konstanz, eine Untersuchung der Alber-Predigten einzuleiten.

Von links: Claudia Guggemoos, Roland Deigendesch, Marcus Keinath
Foto: Wolfgang Albers
Claudia Guggemoos von der Katholischen Erwachsenen­bildung, Stadtarchivar Roland Deigendesch, Dekan Marcus Keinath.

Das war die Situation, als die Reutlinger sich diese Einmischung verbaten und ihren Markteid dagegensetzten. Obwohl das Nachteile bedeutete: Die Gegenseite verhängte einen Handelsboykott über die Stadt.

Ihnen war die geistliche Haltung wichtiger als das ökonomische Kalkül.

sagt Marcus Keinath, Dekan in Reutlingen, beeindruckt

Ein Grund, warum für den Reutlinger Dekan das Jubiläum Aktualität hat. Vorbildhaft findet er auch die Entscheidungsfindung: „In einem demokratischen Entscheidungsprozess.“ Und noch etwas kann man den damaligen Geschehnissen ablesen: Bürgerschaftliches und kirchliches Agieren gingen noch Hand in Hand. Was auch Vorbild für heute sei:

Kirche darf sich nicht zurückziehen, sondern muss Teil der Stadtgesellschaft sein.

Marcus Keinath

Organisiert werden die Veranstaltungen von der evangelischen Kirche, der Katholischen Erwachsenenbildung und dem Reutlinger Geschichtsverein

Ein Grund für etliche Akteure, etwas intensiver an die damaligen Ereignisse zu erinnern: Eine Reihe von Vorträgen wird einige Aspekte genauer beleuchten. So hat Claudia Guggemos, Leiterin der Reutlinger Katholischen Erwachsenenbildung, schon am 29. April einen Abend zur „Politik des Gehörtwerdens“ moderiert.

Zu den damaligen Geschehnissen gehört: Es ging nicht nur um Religion, sondern auch um politische Mitsprache. Im Markteid enthalten waren auch Forderungen nach Rederecht für alle oder rechtlichem Gehör. „Das waren teils moderne Gedanken“, sagt Stadtarchivar Roland Deigendesch. „Da ging es um politische Teilhabe.“

Markteid hielt nicht lange

Zur Geschichte gehört aber auch, dass diese politischen Zugeständnisse des Markteides von Zünften schon wieder nach 14 Tagen zurückgenommen wurden – der Markteid reiht sich da in die lange Geschichte gescheiterter deutscher Emanzipationsbestrebungen ein.

Veranstaltungen zum Markteid

Aber da wird sich trefflich diskutieren lassen – nach dem Impulsvortrag von Barbara Bosch. Sie ist Staatsrätin für Bürgerbeteiligung und war früher Reutlinger Oberbürgermeisterin. Interessant auch der Gast beim Abend über das ökumenische Potenzial des Matthäus Alber (12. Juni): Da kommt die renommierte katholische Professorin Johanna Rahner. Und ein Vortrag von Professor Jürgen Kampmann greift die Weiterentwicklung der Reutlinger Reformation unter Matthäus Alber auf (25. Juni).

Matthäus Alber trieb, mit der Bürgerschaft im Rücken, den reformatorischen Umbau energisch voran. Persönlich (er heiratete, noch vor Luther) und in der Sache: Im Sommer 1524 reichte er erstmals das Abendmahl mit Brot und Wein. Daran erinnert Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl mit einem Festgottesdienst (23. Juni).

Kirchenschiff der Marienkirche
Foto: Wolfgang Albers
Die Marienkirche in Reutlingen

Das Programm findet sich auf der Website der Evangelischen Kirche Reutlingen. Weitere Informationen gibt es auch unter Telefon 07121-312440.

Wer übrigens auch auf die Anschauung setzt, dem sei ein Gang in den Predigtort des Matthäus Alber empfohlen, die Marienkirche. Dort steht einer der größten Kunstschätze der Stadt, der Taufstein aus den Jahren um 1500. Matthäus Alber wird als Kind erlebt haben, wie er neu in die Kirche kam, später hat er als Priester sicher auch hier amtiert. An diesem Ort ist man ihm auch nach 500 Jahren noch ganz nah.

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