Prälatur Reutlingen

Tiefer Einschnitt am Goldberg

SINDELFINGEN-GOLDBERG – Noch stehen Kirche und evangelisches Gemeinde­haus in Sindelfingen-Goldberg. Aber der Abriss steht bevor, der Abschied fällt schwer. Von Wolfgang Albers

Reutlingen
Foto: Wolfgang Albers
Foto: Wolfgang Albers
Jens Junginger ist Pfarrer an der Sindelfinger Martins-Kirchengemeinde.

Man kann die Enttäuschung verstehen, auf die Jens Junginger gestoßen ist. Sogar auf Wut. Jens Junginger ist Pfarrer der Sindelfinger Martinskirchen-Gemeinde und auch geschäftsführender Pfarrer aller Sindelfinger Pfarreien.

Zur Martinskirchengemeinde gehört auch der Goldberg. Was es dort nicht mehr gibt: eine eigene Gemeinde. Die rund 1300 evangelischen Gläubigen dort gehören jetzt zur Martinskirchengemeinde. Aber immerhin: Die Goldberg-Gläubigen haben eine eigene Kirche und ein Gemeindehaus. Noch.

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Die Versöhnungskirche in Sindelfingen – bald finden hier keine Gottesdienste mehr statt.

Abschied auf dem Goldberg ist emotional

Aber, und das hat dann doch für etliche Emotionen auf dem Goldberg gesorgt: Kirche und Gemeindehaus werden abgerissen. Das musste Jens Junginger Menschen sagen, die den Kirchenkomplex mit hochgezogen haben. Aber auch in Sindelfingen verändert der Rückgang an evangelischen Christen Strukturen und Gebäude.

Historischer Ort auf dem Goldberg

Der Goldberg hat eine blutige Geschichte. Hier verloren 1525 Tausende Bauern ihr Leben und ihren Kampf für eine gerechtere Welt. Als in den Nachkriegsjahren in das Wohngebiet Goldberg so viele evangelische Christen zuzogen, dass für sie ein eigener Pfarr-Komplex gebaut wurde, erhielt die Kirche, 1967 eingeweiht, in Erinnerung an das Bauernsterben und den Weltkrieg den Namen Versöhnungskirche.

An die Kirche ist ein Wohntrakt gebaut, in dem die Mesnerin wohnt – seit 40 Jahren ist das Gabriela Wagner. An diesen Trakt ist auch die Pfarrwohnung gebaut. Kurze Wege, fast schon ein Gemeinschaftsleben – Gabriela Wagner hat das immer geschätzt. Der Trakt sowie das Gemeindehaus gegenüber bieten jede Menge Räume für das Gemeindeleben. Und dann ist da noch das große Grundstück, eine grüne Oase, in dem auch die Kinder ihren Sandkasten haben oder jetzt ein Schöpfungsgarten etabliert ist.

Foto: Wolfgang Albers
Der Schöpfungsgarten an der Sindelfinger Versöhnungskirche.

Diese räumlichen Möglichkeiten hat die Gemeinde mit viel Leben gefüllt. Eine Dokumentationswand berichtet von vielen Veranstaltungen und Begegnungen, vom Engagement für eine zweite Orgel oder den Blumenschmuck – dafür hat sich Gabriela Wagner eigens zur Ikebana-Meisterin ausbilden lassen.

Das ist eine hoch engagierte Gemeinde

sagt Jens Junginger.

Kirche ist hier sehr präsent, auch in der Ökumene – und das alles soll nicht mehr sein? Keine angenehme Aufgabe für Jens Junginger, der vielleicht den Vorteil hat, dass er erst seit 2018 in Sindelfingen ist – und daher unbefangener den Wandel angehen kann. Und der dafür motiviert ist: „Ich gestalte gerne Bewegung mit. Ich bin von der Grundstruktur her nicht konservativ.“

Problem: Kirchenmitglieder schwinden

Denn die Goldberg-Idylle ist das eine – die Zahlen sind das andere. Längst vorbei die Zeiten, als hier 3300 Menschen zur Gemeinde gehörten. Und auch die jetzigen 1300 werden weniger werden: Der Goldberg ist längst ein Wohngebiet auch für andere Glaubensrichtungen geworden, und für die insgesamt 7700 evangelischen Christen in Sindelfingen rechnet man mit einem Abschmelzen auf 5000 im Jahr 2050.

Renovierungen sind teuer

Und dann sind da die in die Jahre gekommenen Gebäude. Auf dem Goldberg sind 750 000 Euro für Renovierungen nötig, im Sindelfinger Kirchenbezirk 5,5 Millionen Euro. In den Rücklagen sind aber nur 1,9 Millionen Euro, davon 100 000 für den Goldberg. Der Oberkirchenrat hat deshalb den Sindelfingern den Rat gegeben: Trennt euch von der Hälfte der Gebäude.

Versöhnungskirche Verkauft an den Landkreis

So sollte das dann auch auf dem Goldberg sein. Allein: Die Interessenten standen nicht gerade Schlange. Am Ende war es der Landkreis, der das Gelände möchte – aber das komplette. Hierhin will er mit seiner Sprachheilschule umziehen. Also lässt sich auch das Gemeindehaus nicht halten. Allerdings: Ganz ohne räumlichen Treffpunkt sollen die Goldberger nicht bleiben. In der Schule wird ein Raum für sie eingerichtet: „Mit kirchlichem Charakter, aber auch sonst vielfach nutzbar.“

Es ist diese Aussicht, die nach der Wahrnehmung von Jens Junginger die Emotionen beruhigt hat. Es wird schon fleißig geplant, wie der Raum gestaltet wird – für den Pfarrer ein Zeichen, dass die Gemeinde nach vorne schaut:

Da geschieht etwas Neues, aber in unserem Sinne, und da gehen wir mit.

sagt Jens Junginger

In eine Situation, die nach seiner Auffassung sich wieder mehr der Urgemeinde angleicht: „In seinen Anfängen hatte das Christentum auch keine Kirchen. Kirche wird dann nicht mehr erkennbar sein am Turm, sondern an dem, wie sie sich einbringt in die Stadt.“

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