Prälatur Reutlingen

Wege aus dem Kopfkarussell

TÜBINGEN – Das Klinikum Tübingen ist ein Zentrum der Hightech-Medizin. Ein Impulsweg quer durch das Gelände trägt auf eine eigene Art zur Genesung bei – er hilft, den rotierenden Gedanken die Schwere zu nehmen und wieder Hoffnung zu schöpfen. Von Wolfgang Albers

Reutlingen
Pressebild/Marie-Luise Koschowsky
Der Impulsweg schlängelt sich durch die Ebenen 3 und 4 der Crona-Kliniken.

Eine Telefonzelle mitten im Eingangsbereich des Tübinger Klinikums? Das ist ja eigentlich ein totaler Hightech-Komplex. Und dann: ein Angebot aus der Analogzeit, das doch keiner mehr benutzt? Und das auch keinem mehr nutzt: Ein funktionierendes Telefon sucht man dort vergeblich. Bevor jetzt aber der Verdacht aufkommt, auch das Tübinger Klinikum sei vom allgemeinen Niedergang der deutschen Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen, betrete man doch mal die Zelle.

„Wohlfühlen“ steht in schöner Schreibschrift an der Außenwand, und auf die Tür ist eine Leuchtturm-Landschaft gemalt. Innen ist ein großer Sitz, der mit einer Decke im Delfinmuster gepolstert ist. Wer sich hinsetzt, hört plötzlich Meeresrauschen – eine ungewöhnliche Dekoration.

Das Klinikum ist ein sehr technisierter Komplex. Wer hier eintritt, ob als Kranker, Besucher oder Mitarbeitender, ist angespannt. Es geht oft um Leiden, auch um den Tod. Da tut es gut, für einen Moment einen Ort der Ruhe zu finden, zu entspannen, dem Gedankenkarussell zu entfliehen. Wie in der Telefonzelle.

 

 

Im Klinikum auf dem Schnarrenberg liegen Flyer aus, die durch den Impulsweg lotsen. Die einzelnen Stationen liegen nah beieinander. Eine davon ist die Cafeteria – man hat also auch eine Art Einkehr.

Jutta Rothfuß hat dafür gesorgt, dass sie dort steht. Als eine Station auf einem ganzen Pfad, der quer durch das Klinikum führt, mit 13 Orten zum Verweilen. Um wieder Hoffnung schöpfen zu können – gerade in Situationen, die manchmal hoffnungslos scheinen. Aus ihrer täglichen Arbeit kennt Jutta Rothfuß solche Situationen. Sie ist Pflegefachkraft in der Radioonkologie und der Palliativstation. Und weiß, wie wichtig Hoffnung ist. Ein Lehrsatz leuchtet ihr unmittelbar ein:

 

Foto: Wolfgang Albers
Jutta Rothfuß sitzt im Delfinsessel.

 

Pflegende, denen es nicht gelingt, Hoffnung aufrechtzuerhalten oder zu geben, werden diesem Beruf nicht gerecht.

 

Ein Satz, der sie herausgefordert hat, bekannte sie, als der Impulsweg offiziell eingeweiht wurde: „Hoffnung zu vermitteln, ist eine pflegerische Kernkompetenz, dieser Auffassung stimme ich zu.“ Gerade weil so viele Patienten hoffnungslos sind:

Denen vertrocknet die Seele. Aber ich will, dass sie ihr Leben wieder aktiv mitgestalten können.

Mit diesem Thema hat sie sich intensiver in einer Facharbeit beschäftigt: „Hoffnung vermitteln auf der onkologischen Station“. Ihre Erkenntniss: „Der spirituelle Schmerz der Hoffnungslosigkeit braucht spirituelle Pflege.“ Die kann vielfältig sein, eine Berührung oder ein Lächeln gehört etwa dazu. Oder Impulse durch Text und Bild.

Hoffnungs-Spaziergänge können genau diese vermitteln. Bei ihren Recherchen ist Jutta Rothfuß auf solche Vorbilder gestoßen – und hat sich vorgenommen, solch einen Weg auch im Klinikum zu initiieren. Sie hat ein Team um sich geschart: Die Pflegekräfte Natalia Roller und Anke Gerber gehören dazu, aber auch die evangelische Klinikseelsorgerin Beate Hofmann.

Pflegedirektor Klaus Tischler stand dem Anliegen grundsätzlich offen gegenüber. Aber im Detail wurde es mühsam. Wo darf etwas aufgestellt werden? Wie ist das mit Brandschutz und Fluchtwegen? Wie mit der Versicherung? Aber letztlich hat es geklappt, das Lob des Pflegechefs war der Initiative von unten gewiss.

Und auch der Chefarzt der Radioonkologie, Maximilian Niyazi, betonte:

Hoffnung ist immer ein integraler Bestandteil der Therapie

 

Sie kann einen messbaren Einfluss haben – und auch das soll der Pfad zeigen. Wie alles an der Universität wird er das nächste Jahr über – so lange soll er im Klinikum bleiben – per Befragung ausgewertet. „Wir glauben, dass wir dann einen messbaren Einfluss belegen können“, sagte Maximilian Niyazi.

Der Pfad hat einen schönen Nebeneffekt: Weil er sich durch die Ebenen 3 und 4 der Tübinger Crona-Kliniken schlängelt und auch manchen Abstecher nach draußen macht, lernt man unbekannte Ecken des Klinikums kennen. Zudem: Die Bewegung hilft vielleicht schon, auf positivere Gedanken zu kommen. Dazu kommen die unterschiedlichsten Impulse. Mal steht man auf Aussichtsterrassen und nimmt Natur und Landschaft wahr, mal regen Texte zum Nachdenken an.

 

Foto: Wolfgang Albers
Beate Hoffmann zeigt auf ein Bild von Stefanie Bahlinger.

Einen großen Raum nimmt auch das Visuelle ein. Das Aquarium in der Kinderklinik ist einbezogen, aber es hängen auch viele Bilder. Etwa von Stefanie Bahlinger, die noch in der Mössinger Pausa zur Textilmustergestalterin ausgebildet wurde und jetzt christliche Kunst malt. Ihr Bild eines Licht-Tores ist für Beate Hofmann ein Mut machendes Symbol des Übergangs. Und dann ist da noch Andrea Lienhart. Business-Coach aus Freiburg, die in einer Krebs-Reha linkshändisch malen lernte – was ihren Bildern einen kindlichen Touch gibt. Direkt neben einem Eingang in den OP-Trakt hängt jetzt das Lieblingsbild von Beate Hofmann mit der Aussage:

 

Man muss mit allem rechnen. Auch mit dem Guten.

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