Liebe Leserinnen und Leser, haben Sie schon mal daran gedacht, dass Sie falsch liegen?
Wir alle sehen die Welt nicht objektiv, sondern getrübt durch unsere Geschichte, unsere Herkunftsfamilie, unsere Hautfarbe, Religion, unsere Niederlagen und unsere Erfolge. Unsere Sichtweisen sind ein wilder Mix aus Fakten, persönlicher Biografie, Kultur und dem, was wir in unserem Elternhaus an Werten und Einstellungen mitbekommen haben. Auch der politisch-moralische Ton in unserem Freundeskreis spielt eine Rolle.
Schon zwei simple Einflüsse wie der Wohnort und das Alter prägen unsere Weltsicht enorm. Als 25-jährige Studentin in Berlin denkt, glaubt und handelt man anders als ein 40-Jähriger in einer schwäbischen Kleinstadt.
Das klingt für Sie selbstverständlich? Der Umgang auf Social Media und in unserem gegenwärtigen Miteinander lehrt uns jedoch etwas anderes. Wir leben in einer Zeit starker Meinungen. Sie werden vor allem in den Sozialen Medien mit Likes, Kommentaren und Aufmerksamkeit belohnt, und das selbst dann noch, wenn die eigene Meinung offenkundig einem Faktencheck nicht standhält. Das ist mit Blick auf die Funktion sozialer Netzwerke nachvollziehbar.
Für den gesellschaftlichen Diskurs aber ist diese Art der Kommunikation eine Katastrophe. Wenn eigene Meinungen so behandelt werden, als wären sie die für alle geltende Wahrheit, dann führt das dazu, dass man einander nicht mehr versteht. Über unterschiedliche Meinungen kann man diskutieren, über Wahrheit nicht.
Deswegen ist der Satz aus der Bibel „in Demut achte einer den andern höher als sich selbst“ aktueller denn je, denn er warnt uns davor, die eigene Sichtweise anderen als Wahrheit aufzudrängen. Wer in Demut den anderen höher als sich selbst achtet, der geht mit der Möglichkeit durchs Leben, dass der Mitmensch auch Recht haben könnte.
Mit dieser Haltung wird nicht nur der eigene Horizont weiter und damit die Welt größer, sondern auch das eigene Herz friedlicher. Man kämpft nicht mehr um Dominanz der eigenen Sichtweise, sondern erfährt Verständigung.