Lucie Panzer meint

Aus Nächstenliebe widersprechen

Ein Pfarrer zeigt mit kritischem Blick auf eine Bibel. Kolumne
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Während der Abstimmungen über das „Zustrombegrenzungsgesetz“ Ende Januar haben die Bevollmächtigten der katholischen und der evangelischen Kirche einen Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags geschrieben. Darin kritisieren sie die geplante Verschärfung des Migrationsrechts heftig. Nach einer nicht repräsentativen Umfrage auf der Internetseite evangelisch.de finden 42 Prozent diese Stellungnahme der Kirchen unnötig, 52 Prozent finden sie gerechtfertigt.

Ich habe mich deshalb wieder einmal grundsätzlich gefragt: Dürfen Christen, dürfen die Kirchen sich zu politischen Fragen äußern? Oder hat Reichskanzler Bismarck recht, der 1871 im Kanzelparagraf anordnete, Geistliche dürften nicht „Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise“ zum Thema ihrer Verkündigung machen? Dieser Paragraf galt in Westdeutschland bis 1953, in der DDR bis 1968. Noch heute sagt Ulrich Körtner, ein namhafter evangelischer Theologe, in unserer pluralen Gesellschaft dürfe die Kirche sich nicht ein „politisches Wächteramt“ anmaßen und so die Gesellschaft bevormunden.

 Ich glaube nicht, dass sich mündige Menschen im Jahr 2025 noch von den Kirchen bevormunden lassen. Gerade deshalb dürfen Christen und ja: dürfen die Kirchen ihre Meinung sagen – so wie jede Lobbygruppe, die öffentlich und gewiss auch bei den Abgeordneten des Bundestags ihre Interessen vertritt. Schon die Propheten des Alten Testaments haben mit zum Teil drastischen Worten Sozialkritik geübt. Damit wollten sie niemanden bevormunden, aber sie wollten den Menschen – auch den Herrschenden – Denkanstöße geben, damit sich etwas ändert. Genau wie die Anführer der Bauern im 16. Jahrhundert, wie die Widerstandskämpfer in der Nazidiktatur. Widersprechen ist auch ein Teil der von Christen zu erwartenden Nächstenliebe. Nächstenliebe ist die Außenseite des innerlichen Christseins. Und gerade in einer pluralen Gesellschaft muss man davon hören und etwas spüren.

Das meint Lucie Panzer. Und was meinen Sie?

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