Wenn ich an Gelassenheit denke, dann fällt mir die atemberaubende Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin ein. In Kapitel 8 des Johannesevangeliums treffen nämlich mit aller Wucht zwei komplett unterschiedliche Bewegungen und Grundhaltungen aufeinander. Auf der einen Seite der Tsunami an Entrüstung und unbändiger Lynchlust der Rechtschaffenen. Sie haben längst das Todesurteil über jene Frau gefällt, die angeblich beim Ehebruch ertappt wurde, und treiben sie nun zur alsbaldigen Steinigung vor sich her. Diese urgewaltige Lawine an Aggression trifft nun auf einen in sich ruhenden, zwischen Nachdenklichkeit und Traum schwebenden Mann Gottes, der irgendwie abwesend und unberührt von allem Trubel dasitzt und etwas in den Sand schreibt.
Zwei Welten, zwei Umlaufbahnen an Emotionen und Befindlichkeit, wie sie nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Und in diese zugespitzte Krise hinein wird Jesus aufgefordert, das Urteil über die Frau zu bestätigen. Mit seiner beharrlichen Haltung einer geradezu unfassbaren Gelassenheit aber bremst er völlig gewaltfrei und doch superwirksam die aufgebrachte Meute aus und stoppt augenblicklich den schier umwerfenden Überdruck an Verachtung und Hass. Dabei sitzt er noch immer scheinbar teilnahmslos da, um sich schließlich langsam und bedächtig aufzurichten und die selbsternannten Richter zu entwaffnen mit nur einem einzigen Satz: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Der fällt daraufhin zuerst den Henkern aus der Hand und dann der Frau vom Herzen. Und sie darf leben. Weil Jesus so gelassen ist, so unfassbar in sich ruhend und so gottvoll besonnen.
Und genau das brauchen wir auch in diesen verrückten Tagen, in denen Vorurteile, Angst und Verachtung sich zusammenraufen und um die Herzen und Häuser ziehen. Dabei hatten wir alle gedacht, dass die Steinzeit längst zu Ende ist.