In einer Zeit der gefühlten Wahrheiten ist eine Kirchenethik, die immer genau weiß, was richtig ist, und in übersteigertem Selbstbewusstsein meint, fest auf der richtigen Seite der Geschichte festgeklebt zu sein, wie wenn man in seine Cola noch einen Zuckerwürfel hineinwirft. Kann man machen, ist aber unnötig.
In einer Zeit, in der jeder meint, recht zu haben, bringt es nichts, in erhöhtem Ton davon zu reden, wie man noch richtiger sein kann. Da braucht es in der Kirche nicht noch mehr Rechthaber, die einem sagen, was man alles tun muss, um noch richtiger zu sein. Was wir brauchen, ist Demut. Demut vor Gott, dessen Gedanken meine Gedanken bei weitem übersteigen. Demut vor anderen Menschen und anderen Meinungen. Demut, es auszuhalten, dass auch die anderen recht haben könnten. Demut vor der Geschichte, die uns lehrt, dass, wann immer Menschen und Nationen sich selbst in ihrer Weltsicht nicht mehr hinterfragen ließen, das meistens kein gutes Ende genommen hat.
Was aus Demut folgt, ist eine Haltung, die das alte Wort „bußfertig“ wunderschön umschreibt. Es ist eine Haltung, die damit rechnet, sich irren zu können. Die bereit ist zu verzeihen, weil sie weiß, dass man selbst täglich Vergebung braucht. Die andere nicht maßregelt und ihnen nicht von oben herab erklärt, wie sie zu sprechen, zu schreiben und zu leben haben, weil sie weiß, dass unser ganzes Leben ein Betasten und Herantasten an die Wahrheit ist. Aber niemals werde ich diese Wahrheit ganz ergreifen können. Sie versteht andere als Mitringende um diese Wahrheit, aber sie wird immer widersprechen, wenn jemand meint, die Wahrheit zu besitzen.
Ich sehne mich nach dieser Kirche, die sich in den Wörtern Demut und Bußfertigkeit wiederfindet. Denn eine Kirche, die demütig vor Gott und den Menschen lebt und bereit ist, die eigene Sicht infrage zu stellen, erinnert in einer Zeit der gefühlten Wahrheiten daran, dass es noch etwas anderes gibt als uns, sie hält die Erinnerung an Gott wach und lebendig. Das ist doch eines der, vielleicht sogar das Wesen der Kirche.