Pfarrer Nicolai Opifanti vor einem blauen Hintergrund.
Nicolai Opifanti meint

Gottes ganz andere Stimme hörbar machen

Kolumne
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Wer hat Recht? Wer hat die Wahrheit auf seiner Seite? Gefühlt befinden wir uns im Übergang von einer Gesellschaft der unterschiedlichen Meinungen  zu einer Gesellschaft der unterschiedlichen Wahrheiten.

Wir merken das zum Beispiel in den „Diskussionen“ auf Social Media. Ich schriebe das bewusst in Anführungszeichen, da ich das Gefühl habe, dass es dort schon lange nicht mehr um einen offenen Meinungsaustausch geht, sondern um den Kampf unterschiedlicher Wahrheitsverständnisse. Menschen, die das Zusammenleben in unserem Land erforschen, sprechen von einer Gesellschaft der radikalisierten Individualisierung.

Da große menschenübergreifende Erzählungen wie zum Beispiel das Christentum für viele nicht mehr glaubwürdig sind, ist jede und jeder selbst aufgefordert, sich seine Welt so zu erzählen, dass sie für ihn oder sie Sinn ergibt.

Das Ganze wird dann zum Problem, wenn die eigene Meinung, die eigene Erzählung zur Wahrheit erklärt wird. Denn Meinungen kann es viele geben, aber Wahrheit nicht. Wahrheit gibt es nur in der Einzahl, nicht in der Mehrzahl.

Ich frage mich, welche Gestalt von Kirche wir für eine solche Gesellschaft der 83 Millionen miteinander konkurrierenden Wahrheiten brauchen. Vielleicht brauchen wir mehr denn je eine Kirche, die den Gott wiederentdeckt, dessen Gedanken höher sind als unsere Gedanken. Vielleicht ist die Zeit reif für eine Stimme in der Gesellschaft, die nicht dem Menschen nach dem Mund redet, sondern versucht, Gottes ganz andere Stimme hörbar zu machen – auch wenn diese Stimme unangenehm ist, weil sie an unseren eigenen Wahrheitspalästen rüttelt. Vielleicht ist es Zeit für mehr Predigten von einem Gott, dessen Liebe zu uns so groß ist, dass er uns korrigiert, ermahnt und widerspricht.

Vielleicht ist es Zeit für eine Kirche, die aus Liebe zu den Menschen den Mut hat, sich ihnen in den Weg zu stellen, und sie daran erinnert, dass es über ihrer eigenen Wahrheit noch jemand gibt, der von sich gesagt hat: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Das meint Nicolai Opifanti. Und was meinen Sie?

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