Wir stecken in einem Dilemma. Lässt es sich lösen? Da gibt es einerseits Bibelstellen ohne Wenn und Aber. Zum Beispiel diese hier: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“ (Jesaja 58,7). Unser Ermessensspielraum ist gleich null.
Natürlich gilt dieses Wort auch in Sachen Flüchtlinge. Nur dreht sich die Diskussion da gerade um andere Dinge: um Außengrenzen beispielsweise, Grenzkontrollen, Obergrenzen, das Boot ist voll und so weiter. Damit aber laufen wir ungestreift unter der Latte durch, die Jesaja – zugegeben ziemlich hoch – aufgelegt hat. Denn diese Diskussionspunkte stehen für alles, bloß dafür nicht: für Hilfe ohne Wenn und Aber. Im Gegenteil: Es sind Schlagwörter des Scheiterns am Anspruch der Bibel.
Auf der anderen Seite gibt es auch kritische Stimmen: „Ist das Ihr Ernst, dass wir alle aufnehmen sollen? Das geht doch nicht.“ Nein, das geht nicht, und was nicht geht, sollten wir auch nicht verlangen. Wozu kann dieses Bibelwort dann dienen: „Die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus“? Vielleicht zu so etwas wie eben die Latte beim Hochsprung: als ambitioniertes Ziel. Man kann sie reißen, aber auch, wenn alles passt, drüberkommen.
Genauso könnte ich das Bild von einer Leitplanke verwenden: Es zeigt die Richtung auf, in die wir gehen sollen. Es markiert die Grenzen, die wir nicht unter- oder überschreiten dürfen. Im Klartext: Hilfe für die, die Hilfe brauchen, ist für die Bibel nicht verhandelbar: Ein „Geht nicht“ gibt’s nicht.
Weil aber unsere Ressourcen endlich sind – auch die Ressource der Akzeptanz –, sind Grenzen der Hilfe unvermeidlich. Aber setzen wir sie nicht zu eng! Solange Boote mit Flüchtlingen auf dem Mittelmeer unterwegs sind, solange sich Trecks von Menschen nordwärts quälen, solange Familien in Lagern ohne Zukunft sind, solange Krieg ist, müssen die mit Ernst Christen sein wollen, ihre Kapazitäten hinterfragen: „Herr, vielleicht diese(r) eine noch?“ Das Dilemma freilich bleibt.