„Davor zieh ich meinen Hut!“ Das sagt man so, wenn man Respekt und Hochachtung empfindet vor einem Menschen und dessen Leistung. In Wirklichkeit aber ziehen wir heutzutage keine Hüte mehr. Das ist scheinbar ausgestorben. In meiner Kintheit, also im letzten Jahrtausend, wenn ich da mit meinem Großvater durch unser Dorf gegangen bin, dann sind wir kaum vorwärtsgekommen, weil er vor Allen, die uns begegnet sind, seinen Hut oder seine Mütze gezogen hat. Nicht einfach so im Vorübergehen. Er ist dazu stehen geblieben, natürlich, zumindest einen kleinen Moment, hat gegrüßt, zugenickt und nachgefragt, wies geht und steht in Haus und Hof, Stall und Scheune, Feld und Flur. Und überhaupt. In meiner Erinnerung hat das immer eine gefühlte Ewigkeit gedauert, bis wir dann endlich am Ziel beim Bäckerladen oder auf der Poststelle angekommen sind. Aber ich war davon immer sehr beeindruckt.
Ich habe damals das Wort Respekt noch gar nicht gekannt, aber wie es geht, das schon. So viele gezogene Hüte habe ich seitdem nie mehr gesehen. Mein Großvater und seine Altersgenossen haben sie alle mitgenommen in den Himmel. Dort hängen sie jetzt alle an der göttlichen Garderobe und kein Mensch fragt mehr danach bei uns. Schade eigentlich um diese famose Art und Weise, sich so gegenseitige Wertschätzung und Aufmerksamkeit zu schenken. Den alten Rituale des Dieners und des Knicks als eher peinliche Zeichen einer hoffentlich überwundenen Haltung der Unterwürfigkeit brauchen wir nicht nachzutrauern.
Aber dem Hut-ab-Ritual schon. Das täte uns heute gut, da uns allerorten ein böser Geist der Verächtlichkeit umweht. Denn nur wer sich geschätzt und geachtet fühlt in unserer bunten Gesellschaft, ist selbst auch behütet und gut aufgehoben. Seien wir also auf der Hut vor dem Vergessen der Achtsamkeit. Die Bibel jedenfalls ermutigt uns alle im Sinne einer praktizierten respektvollen Zuneigung, dass ein Mensch dem anderen mit Ehrerbietung zuvorkommen soll.
Die Zeit der unsichtbar gezogenen Hüte kann anbrechen, wenn wir bedachtsamer durch die Straßen und Gassen gehen und „Grüß Gott!“ sagen, wenn wir uns treffen. Zuerst den Hut ziehen und dann heiter weiter.