Ich habe viele Erinnerungen an die Weihnachten meiner Kindheit, vor allem gute. Eine davon hat mit einer Sache zu tun, mit der ich damals nichts anfangen konnte. Meine Eltern pflegten an Heiligabend immer eine Kerze ins Wohnzimmerfenster zu stellen. „Für die Gefallenen und Vermissten“, erklärten sie. „Gefallene“? „Vermisste“? Erst im Lauf der Jahre wurde mir klar, dass es sich dabei um Soldaten handelte, die im Krieg ums Leben gekommen waren oder von denen man nicht wusste, was für ein Schicksal sie erlitten hatten. Onkel Heiner und Onkel Hermann sind mir aus unserer Familie eingefallen. Die Kerze im Fenster sollte sagen: Ihr seid nicht vergessen, vor allem nicht an Weihnachten, nicht an Heiligabend.
Und heute, wen wollen wir da nicht vergessen an Heiligabend? Natürlich kommen einem bei dieser Frage zuerst die „Gefallenen“ und „Vermissten“ von 2023 in den Sinn: die Opfer des Ukrainekriegs, die Toten des Nahostkonflikts, all die, deren Recht auf Leben mit Füßen getreten wird.
Aber ich denke auch an die Eltern selig, die mich großgezogen haben. An die Oma, die an Weihnachten ihr „Stüble“ räumte, um Platz für meine Modelleisenbahn zu schaffen. An die Großtanten, deren Pietismus voller kleiner menschlicher Schwächen und darum so sympathisch war. An jenes betagte Mitglied des Rotary Clubs, dessen Fürsprache ich ein Stipendium für die USA und damit letztendlich meine deutsch-amerikanisch-japanische Familie verdanke. Und so weiter und so fort.
Ich finde es gut, auch solche für uns einmal wichtigen Menschen nicht zu vergessen. Ein sichtbares Zeichen dafür wäre an Heiligabend eine Kerze im Fenster und damit verbunden die weihnachtliche Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren“ (Lukas 2,11).
Wie gesagt: Damals, als ich noch ein Kind war, habe ich mit diesem Brauch nicht viel anfangen können. Heute dagegen möchte ich ihn aufleben lassen und in seiner Bedeutung weiten: Lasst die Kerzen der Erinnerung leuchten! Ich bin dabei.