Seit 1952 steht er im November im Kalender: der Volkstrauertag, weltlicher Gedenktag für die Opfer vor allem der großen Kriege des 20. Jahrhunderts. So auch dieses Jahr. Aber wenn ich am Sonntag auf den Friedhof gehe, um bei der Volkstrauertagfeier dabei zu sein, beschleicht mich sicher wieder das dumpfe Gefühl: Lang wird es diesen Tag nicht mehr geben.
Noch ist es zu früh, für den Volkstrauertag das Totenglöckchen zu läuten. Aber dass er keine Zukunft hat, liegt auf der Hand. Schließlich leben nur noch wenige, welche die Schrecken der beiden Weltkriege direkt mitbekommen haben. In der zweiten oder dritten Generation aber sind Schmerz und Trauer verebbt. Die Folge: Von Jahr zu Jahr wird der Kreis der Teilnehmenden an den Volkstrauertagfeiern kleiner, die Kranzniederlegung und das „Ich hatt‘ einen Kameraden“ wirken aufgesetzt, und die hier und da übliche Beteiligung des Jugendgemeinderats rettet auch nichts mehr. Der Volkstrauertag ist tot – bald jedenfalls.
Leben wir deshalb in einer befriedeten Welt? Mitnichten. Der Krieg in der Ukraine, aber auch die gewaltsame Auseinandersetzung in Nahost zeigen, wie unfriedlich unsere Zeit ist. Und hierzulande sind Waffenlieferungen in Krisengebiete kein Tabu mehr. Aber was das letzte und äußerste Mittel der Politik ist, nämlich Krieg, ist noch lange nicht die Ultima Ratio des Glaubens. Die lautet: „Selig sind, die Frieden stiften.“ (Matthäus 5,9) Nur macht es das Kriegsgeschrei dieser Tage den Friedensstiftern schwer, sich überhaupt Gehör zu verschaffen. Da wäre der geschützte Raum eines extra Sonn- oder Feiertags gut, wo sie für alle vernehmbar mahnen könnten, und das mit Recht: „Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.“ Wie wär’s deshalb mit einem Volksfriedenstag anstelle des Volkstrauertags und mithin mit einem Blick nach vorn statt zurück? Hier hätte auch das Beten für den Frieden einen prima Platz.
Der Volkstrauertag ist tot, es lebe der Volksfriedenstag.