Die Galater sind verunsichert. Gerade erst hat ihnen Paulus von der Freiheit des Glaubens erzählt. Nun kommen andere Missionare aus Jerusalem, Judenchristen, die sich selbstverständlich an die jüdischen Speisegebote und an die Beschneidung halten. Sie sagen den Galatern, dass zum Glauben das Einhalten dieser Vorschriften dazugehöre. Die Gemeindeglieder, zumeist Heidenchristen, fragen sich, was denn nun gilt. Und sie schreiben an Paulus. Paulus antwortet konkret. Das gefällt mir. Er nimmt die Anliegen und Fragen der Gemeinden ernst.
Nein, schreibt er, es braucht für euch keine weiteren Vorschriften, die einzuhalten sind. Taufe und Glaube reichen. Zur Gemeinschaft, zur Feier des gemeinsamen Gottesdienstes, braucht es nicht mehr. Alle sind eins in Christus. Ohne Unterschiede. Dabei lässt Paulus beides gleichberechtigt stehen. Judenchristen und Heidenchristen. Sie können gemeinsam feiern, gemeinsam essen und dennoch ihre Unterschiede respektieren. Und das geht noch viel weiter. Ja, selbst Sklaven gehören mit zur Gemeinschaft. Was für eine Weite im gemeinsamen Feiern. Ob wir sie heute auch so haben?
Christinnen und Christen sind nicht gleich, das müssen sie auch nicht sein. Sie feiern und glauben unterschiedlich. Aber Paulus weist auf das Entscheidende hin, was alle verbindet: Taufe und Glaube.
Theoretisch wusste ich das, aber praktisch bewusst wurde es mir, als ich während meines Studiums auf einer Bibelschule in Istanbul war. Initiiert und geleitet wurde sie vom katholischen Theologieprofessor Wolfgang Fene-berg. Unsere gemischte Gruppe bestand aus katholischen Frauen und Männern, Laien und Theologen, und mir als einzigem Evangelischen. Durch die intensive Gemeinschaft und gemeinsame Gottesdienste wurde ich mir meines eigenen, evangelischen Glaubens sehr bewusst und lernte zugleich den Glauben der Geschwister besser kennen. Die Achtung und der Respekt vor anderen christlichen Kirchen und ihrem Glaubensleben erweiterte sich beim Besuch der syrischen Klöster im Tur Abdin im Osten der Türkei. Viele Jahre später beim Besuch der christlichen Kirche in Südindien und auch bei Reisen mit dem Gustav-Adolf-Werk staunte ich über die große Vielfalt im Christentum. Und wenn wir an Pfingsten mit der Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen gemeinsam Gottesdienst feiern in großer ökumenischer Weite – evangelisch, evangelisch-freikirchlich, katholisch, orthodox und neuapostolisch –, dann spüre ich etwas von der Verbindung, die Paulus beschreibt.
Alle sind durch Taufe und Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Herkunft, Geschlecht, Aussehen, Alter, Beruf machen keinen Unterschied. Gleichzeitig haben Taufe und Glauben Folgen. Paulus verwendet ein Bild, das mich anspricht: mit der Taufe Christus anziehen. Sich ganz von ihm her bestimmen lassen. Wie er auf Menschen zugehen. Wie der barmherzige Samariter ohne Ansehen der Person Nächstenliebe leben. Man sieht einem Christen, einer Christin dieses Kleid nicht an, aber ich glaube, man kann etwas davon spüren: die innere Freiheit, die zu einem neuen Miteinander führt.