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Impuls

Der „ungläubige Thomas“

Impuls für den Sonntag Quasimodogeniti: Johannes 20,19-29

Johannes 20,19-29 (in Auszügen)

Danach spricht Jesus zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

privat
Der promovierte Theologe Tilo Knapp ist Pfarrer der Stuttgarter Markus-Haigst Kirchen­gemeinde.

In der Gemäldegalerie von Schloss Sanssouci hängt ein berühmtes Bild kirchlicher Kunst: Caravaggios „Ungläubiger Thomas“, gemalt um 1600. In der drastischen, dem Betrachter größtmögliche Nähe vermittelnden Szene zeigt Jesus Thomas seine Seitenwunde. Er zeigt sie ihm nicht nur, er lässt zu, dass Thomas seinen Zeigefinger tief in die Wunde bohrt. Die Szene wirkt in ihrer Derbheit schockierend. Thomas schaut mit weit aufgerissenen Augen – erschrocken – über die so unerwartete Erfüllung seines Begehrens.

Thomas heißt übersetzt „Zwilling“. Er ist nicht allein mit seinem Zweifel. Bei Caravaggio sind es zwei Jünger im Hintergrund, die ihm über die Schulter schauen. Wer dieser Thomas gewesen ist, ist schwer zu sagen. Er gehört zum Kreis der zwölf Jünger Jesu. Konturen bekommt er erst in der Ostererzählung. Aus unbekannten Gründen ist er bei der ersten Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern am Ostertag allerdings nicht zugegen.

Wie er uns gleicht, dieser „Zwilling“. Auch wir waren nicht dabei, hörten von alledem nur. Man hat uns davon erzählt, es uns gepredigt. Auch darin ähnelt er uns, dass die andern ihm sagen, sie hätten Jesus gesehen – und er’s nicht glaubt. Jesus bietet ihm freimütig die erforderte Beglaubigung an. Seine Mahnung, „nicht ungläubig, sondern gläubig“ zu sein, provoziert Thomas zu dem Ausruf: „Mein Herr und mein Gott!“ In keinem Evangelium gibt es ein Bekenntnis, das höher greift: Der „ungläubige Thomas“ könnte genauso gut der „glaubende Thomas“ heißen.

Es ist nicht zu tadeln, dass Thomas seinem Herrn so nahe sein will. Indem Jesus auf ihn zukommt, erweist er sich als derjenige, der um das tiefe Bedürfnis seines Jüngers weiß. Der muss selber die Erfahrung machen, rückhaltlos vertrauen zu können. Erst in der direkten Begegnung lässt er sich von Gottes Gegenwart überwältigen. Ich möchte Thomas zurufen: Recht tust du daran, nicht gleich mit fliegenden Fahnen ins Lager der Überzeugten zu eilen. Man hat dich deswegen einen „Zweifler“ genannt und es dir übelgenommen. Es stimmt, du bist nicht so leicht zu überzeugen. Doch für uns bist du gerade deshalb zum Anwalt geworden, unser Platzhalter bist du. Dir verdanken wir, dass wir vorkommen in jener Ostergeschichte. Du bist unser Fuß in der Tür zum Glauben.

Indem du den Herrn so nahe haben willst, machst du uns auch darauf aufmerksam, dass es dem Glauben immer um die ganze unteilbare Wirklichkeit geht. Wenn man dich überhaupt tadeln könnte, dann dafür, dass du meinst, etwas zur Bedingung deines Glaubens machen zu können. Allerdings, ob dir diese Bedingung erfüllt wurde?

Caravaggios Gemälde legt etwas nahe, was vielleicht nie der Fall war. Bei ihm erscheint dein Glaube als das Kind einer medizinischen Demonstration. Aber hast du Jesus überhaupt berührt? Oder brauchtest du dessen Aufforderung gar nicht mehr zu befolgen, hattest es, nachdem dich Jesus ansprach, auch gar nicht mehr nötig? Das wird in der Geschichte nicht erzählt. Die Frage, was dich, Thomas, tatsächlich vom Unglauben zum Glauben brachte, bleibt meiner Fantasie überlassen.

Gebet

Unser Glaube. Ein Geschenk Gottes. Jeden Tag neu. Wie das Brot, das wir essen. Wie die Luft, die wir atmen. Wie die Liebe, die uns trägt. Bedürftige sind wir. Angewiesen darauf, dass Gott einkehrt bei uns. Amen.

Den geistlichen Impuls für jeden Tag finden Sie im AndachtsCast.

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