Foto: Anita Gröh
Gerlinde Hühn, Dekanin im Ruhestand, ist in unterschiedlichen Bereichen ehrenamtlich aktiv: Offene Kirche, Seniorengremien, Supervision, Erwachsenenbildung.
Es ist die wichtigste Erzählung des Neuen Testaments. „Gekreuzigt, gestorben und begraben“, so bekennen wir es. Die Soldaten kreuzigen ihn und schreiben ans Kreuz: Jesus, der Juden König. Schalom Ben Chorin hat den hebräischen Kreuzestitel nach dem Johannesevangelium rekonstruiert: Jeschu Hanozri W(u)melech Hajeduhim: abgekürzt JHWH, der heilige Name Gottes. Eine bewusste Lästerung Gottes, sie ist Pilatus zuzutrauen! Wegen des bevorstehenden Passahfestes soll die Hinrichtung schnell gehen. Freunde gibt es nicht mehr, nur Spötter sind da, die vorbeischlendern: Er solle sich selber helfen. Um die Mittagszeit wird es finster auf der Erde: Der Kosmos hält den Atem an. Zum Dunkel der Hinrichtung kommt noch Finsternis und ein verborgener Gott, nach dem der Sterbende anscheinend vergeblich ruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Was geschieht hier?
Jesus wollte nicht sterben. In Gethsemane rang er im Gebet darum. Alles, was Jesus in seinem irdischen Leben getan hat, hat er aus Liebe getan. Er war in seiner Person das Gleichnis des schon gegenwärtigen Reiches Gottes. Den Menschen hatte er die Liebe und Vergebung Gottes verkündet, ohne ein sühnendes Ritual.
Für sich genommen ist das Kreuz ein öffentlicher Hinrichtungsakt, weder eine rituelle Tötung noch ein notwendiges Opfer, um Gott zu versöhnen! Es ist die Folge von Jesu Botschaft der Liebe. Die gefiel weder der Tempelhierarchie noch der politischen Macht.
Jesu Tod war für seine Jünger die große Verstörung. Erst von der Ostererfahrung her wurde klar: Gott hat sich mit dem auferweckten Jesus von Nazareth identifiziert und damit die Liebe zu seinem, Gottes Wesen, erklärt. Ein für alle Mal. In Jesus Christus ist Gott selbst für den fehlbaren Menschen eingetreten. In ihm sind wir in die Gemeinschaft mit Gott gebracht, niemand ist außerhalb!
Der römische Hauptmann ruft aus: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen, für den griechisch Sprechenden: Er ist es wirklich! Der Gekreuzigte wird von einem Heiden als Gottes Sohn gepriesen. Nicht Tiberius ist der Sohn Gottes, wie auf die römische Münze geprägt: „Tiberius – Sohn des göttlichen Augustus“. Das Bekenntnis des Hauptmanns ist Hochverrat. Es hätte ihn sein Leben kosten können.
Mit dem lauten Todesschrei Jesu reißt der Vorhang im Tempel entzwei. Der Tempel hat seine Unzugänglichkeit verloren. Das Allerheiligste ist leer. Gott (JHWH), der Allerhöchste, ist draußen bei dem Hingerichteten auf Golgatha.
Der Sühnekult kommt mit der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. an sein Ende. Jesus von Nazareth: vordergründig ein Gescheiterter. In Wirklichkeit aber Gottes Sohn. In ihm hoffen wir nach Ostern für uns: gestorben, begraben, auferstanden.