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Impuls

Ein Mensch sein

Impuls für den 19. Sonntag nach Trinitatis: Johannes 5,1-16.

Johannes 5,1-16

Es war aber dort ein Mensch, der war seit achtunddreißig Jahren krank. Als Jesus ihn liegen sah und vernahm, dass er schon so lange krank war, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin.

Porträt von Cora Böttiger
privat
Cora Böttiger ist Gemeindepfarrerin in Bad Wurzach, Dekanat Ravensburg, und zudem als Gottesdienst­beraterin tätig.

„Hauptsache Gesundheit! Alles andere kommt von allein.“ Dieser und ähnliche Sätze begegnen mir als Pfarrerin öfters, wenn ich Geburtstagsbesuche mache. Ja, vor allem im Alter weiß man zu schätzen, wenn man jeden Morgen aufstehen kann.

Da ist einer, der ist seit 38 Jahren krank. Der liegt da und findet keine Beachtung mehr. Krankheit isoliert und macht einsam. Er wird unsichtbar, nicht nur für die Gesunden, sondern auch für die anderen Kranken. Und dann kommt Jesus. Er sieht ihn. Er nimmt ihn wahr als den, der er ist. Bedürftig. Und er fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Was für eine Frage, denken wir. Wer will das nicht? Sollte ein seit 38 Jahren kranker Mensch nicht gesund werden wollen?

Doch sind wir mal ehrlich. Manchmal haben wir uns ganz gut eingerichtet in unserer Krankheit oder einer anderen schlechten Lage. Manchmal scheint es leichter, darin zu verharren, als etwas zu ändern – selbst wenn wir könnten. Ich kenne Menschen, die mit ihrer Lage unzufrieden sind – und sich nicht zutrauen, etwas zu ändern. Ich weiß, dass das oft nicht so einfach ist. Ich weiß aber auch, dass eine Änderung, eine Besserung meist möglich wäre, wenn man nur den Mut hätte, aufzubrechen.

Bei Krankheiten haben wir oft keine andere Wahl als sie zu akzeptieren, sie auszuhalten. In vielen Fällen hilft kein Fitnessprogramm. Medikamente schaffen unter Umständen Erleichterung, aber nicht mehr. Ärzte kommen mit ihrem Latein ans Ende.

Jesus fragt: „Willst du gesund werden?“ Und wenn uns schon diese Frage erstaunt, wie viel mehr irritiert uns die Antwort des Kranken. Er schreit nicht freudig „Ja!“, sondern er verweist auf seine Isoliertheit: „Ich habe keinen Menschen.“ Die Einsamkeit, die er seit Jahren, ja Jahrzehnten erlebt, lähmt ihn. Die fehlende Gemeinschaft, der Mangel an Mitmenschlichkeit lässt ihn vorerst in seiner Situation verharren.

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Und um gesund zu werden, brauchen wir andere Menschen. Daher macht Jesus, was schon viel früher hätte passieren müssen: Er wird dem Kranken, er wird dem Menschen ein Mensch. Der Menschensohn wird dem, der keinen um sich hat, zum Mitmenschen. Er sieht ihn. Er nimmt ihn wahr. In all seiner Bedürftigkeit.

„Sei ein Mensch.“ Dieser Satz aus der Rede von Marcel Reif im Bundestag am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im vergangenen Jahr kommt mir in den Sinn. Das war die Botschaft des Vaters, der den Holocaust überlebt hat, an ihn, den Sohn. Und in diesem Satz schwingt so viel mit. Der Anspruch, „menschlich“ zu bleiben bei allem, was uns an „Unmenschlichem“ begegnet. Wir sollen so sein, wie Gott uns geschaffen hat. Wir sollen anderen Menschen ein echtes Gegenüber sein. Wie oft verwehren wir eine Begegnung, wir oft sehen wir nur uns und unsere Situation. Die Heilungsgeschichte am Teich Betesda ist ein Apell an unsere Mitmenschlichkeit. Sei ein Mensch – so wie Jesus dem Kranken ein Mensch wurde.

Gebet

Gott, du kannst mich heilen. Ich lege mein Leben, meine Zukunft, meine Pläne und alles, was mich belastet, unruhig macht, in deine Hand. Sei bei mir. Schenke mir Menschen, die mich begleiten. Und lass auch mich zum Mitmenschen für andere werden. Amen.

Den geistlichen Impuls für jeden Tag finden Sie im AndachtsCast.

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