Rahab ist eine Frau am Rand. Man kennt sie eigentlich nur als „die Hure Rahab“. So wird sie immer genannt. Als Prostituierte gehört sie zu den wenig geachteten Menschen in der Stadt. Auch ihr Haus steht am Rand der Stadt. Im Abseits. An der Stadtmauer, wo es gefährlich ist, und wo die Feinde als erstes angreifen. Und doch erinnern wir uns bis heute an Rahab und an die Güte, die man in ihrem Haus finden konnte.
Dramatisch ist die Geschichte, die von Rahab erzählt wird. Zwei Spione Israels dringen nach Jericho ein. Sie wollen die Stadt und das Land für die Eroberung durch Israel erkunden. Sie gehen in das Haus von Rahab – das möglicherweise eine Gastwirtschaft ist, aber wahrscheinlich ein Bordell. Der König von Jericho bekommt Wind davon und will die feindlichen Spione ergreifen. Aber Rahab verbirgt die beiden Männer unter Flachsstängeln auf dem Dach ihres Hauses und schickt die Leute des Königs mit einer dreisten Lüge davon.
Die Erzählung von der Eroberung Jerichos durch Israel ist eine Geschichte voller Gewalt. Das Haus von Rahab ist in dieser Geschichte wie ein Schutzraum für das Leben. Wie eine Arche in der Flut der Gewalt. Alle Figuren sind dabei ambivalent. Sie sind weder nur gut noch einfach nur böse. Rahab will das Leben der fremden Männer retten, die Feinde ihres Volkes sind. Aber sie will auch ihr eigenes Leben retten und das Leben ihrer Familie. Dabei handelt sie nicht einfach selbstlos, sondern hat auch ihre eigenen Interessen im Blick.
Als die Soldaten des Königs schließlich abziehen, lässt Rahab die Kundschafter Israels an einem Seil über die Stadtmauer entkommen. Dabei haben sich Rahab und die Kundschafter ein Versprechen gegeben: Wenn Rahab das Leben der Kundschafter schont, soll auch ihr Leben und das ihrer Familie verschont bleiben. Ein rotes Seil wird zum Zeichen für dieses Versprechen.
Rot ist das Seil, das Rahab in ihr Fenster hängt. Rot wie fein gefärbte Wolle. Rot wie das Gewand der Priester. Rot wie die mit Blut bestrichenen Türpfosten Israels. Rot, wie die Farbe für den Heiligen Geist, der weht, wo er will, und durch den Gott Menschen in seinen Dienst nimmt. In dieser Geschichte weht Gottes Geist durch das mutige und listige Handeln von Rahab und durchbricht damit das gewalttätige Handeln der Männer auf beiden Seiten der Stadtmauer.
Die Namen der Männer der Geschichte sind unbekannt. An den Namen von Rahab erinnern wir uns bis heute. Nicht die Soldaten sind es, mit denen Gott Geschichte schreibt, sondern eine Frau am Rand der Gesellschaft. Schließlich taucht Rahab auch im Stammbaum Jesu auf (Matthäus 1,5). Sie gilt als Vorbild im Glauben. Ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte. Gottes Geist wirkt nicht durch Gewalt und Krieg, sondern dort, wo Menschen sich für das Leben einsetzen, über alle Mauern hinweg.