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Impuls

Furcht spielt keine Rolle

Impuls für den 2. Sonntag nach Epiphanias: Hebräer 12,12-25.

Hebräer 12,12-25 (in Auszügen) 

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden -anrichte. Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Finsternis und Ungewitter. Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln.

privat
Henrike Frey-Anthes arbeitet als Predigtcoach sowie Gottesdienst­beraterin und ist Pfarrerin in Schwäbisch Hall

Göran ist krank. Eigentlich ist nur sein Bein krank. Aber das schon lange. Seit einem Jahr liegt Göran im Bett irgendwo in Stockholm. Und es ist möglich, dass er manchmal, wenn es abends langsam schummrig wird, ein bisschen weint, weil er vielleicht nie wieder wird gehen können. Eines Tages aber kommt ein sehr kleiner Herr im karierten Anzug und mit einem hohen schwarzen Hut auf dem Kopf durchs Fenster zu Besuch. Herr Lilienstengel spaziert überall in der Stadt so ein bisschen an den Fenstern vorbei, um nachzusehen, ob es Kinder gibt, die ins Land der Dämmerung wollen. „Hast du Lust, mit mir hinauszuspazieren ins Land der Dämmerung?“, fragte Herr Lilienstengel. „Das kann ich nicht“, sagte ich, „mein Bein ist krank. Ich kann nicht laufen.“ „Spielt keine Rolle“, sagte Herr Lilienstengel. „Spielt gar keine Rolle im Land der Dämmerung.“ So erzählt es Astrid Lindgren in ihrem Märchen „Im Land der Dämmerung“.

Wäre das nicht wunderbar, wenn es einen Herrn Lilienstengel gäbe, für den schlotternde Knie oder müde Hände keine Rolle spielen? Der einen mitnimmt in das Land der Dämmerung, wo alles möglich ist. In dem die Gesetze der Angst und der Sorgen nicht gelten. Wo man nicht heimlich weinen muss, wenn es dunkel wird.

Der Hebräerbrief kennt dieses Land. Der Prophet Jesaja hat es beschrieben. Vor langer Zeit schon. Der Hebräerbrief holt es wieder hervor aus der Erinnerung. Denn immer noch sehnen sich die Menschen danach. Immer noch sind sie müde. Ihr Bein ist krank, ihre Knie sind schwach. Unsere auch. Dabei gilt es doch, hellwach zu sein und beweglich, um den Frieden zu ergreifen und Gottes Gnade nicht zu verpassen. Das ist schwer und eine hohe Kunst. Das braucht Training, Ausdauer und Kraft. Das Gegenteil geht ja so schnell: Wie leicht wächst die Bitterkeit. Wie schnell macht sich Unfriede breit. Und wie schwer lässt sich die Wurzel des Unfriedens ausreißen. Sie sitzt so furchtbar fest.

Da braucht man einen wie Herrn Lilienstengel. Jemanden, für den es keine Rolle spielt, wie sehr die Knie schlottern. Wie krank das Bein ist und wie kraftlos die Hände. Eine, die es sich zur Aufgabe macht, auf Gottes Gnade zu achten, und die mit aufmerksamem Blick hellwach durch die Welt geht. Einen, der andere mitnimmt in das Land der Dämmerung.

Wir sind solche Herren und Damen Lilienstengel, sagt der Hebräerbrief. Wir geben der bitteren Wurzel der Gleichgültigkeit keinen Nährboden. Wir sind Menschen voller Hoffnung. Menschen, die die Frage nach dem Frieden wachhalten. Die Acht haben auf Gottes Gnade, damit niemand sie verpasst. Die andere an die Hand nehmen auf dem gemeinsamen Weg in das Land Dämmerung. Furcht? Spielt keine Rolle im Land der Dämmerung. Nur eines ist anders als bei Astrid Lindgren: Unser Land der Dämmerung verkündet nicht die herannahende Nacht. Es verheißt einen neuen Morgen.

Gebet

Großer Gott, wir sind müde, unsere Knie wanken. Wir greifen nach dem Frieden. Wie sollen wir ihn festhalten? Wir suchen Halt. Welchen Weg sollen wir gehen? Nimm uns an die Hand. Zeig uns dein Reich. Geh mit uns in deinen Morgen. Amen.

Den geistlichen Impuls für jeden Tag finden Sie im AndachtsCast.

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