„Jetzt haben Sie mir lange zugehört“, sagt die Patientin im Krankenhaus, an deren Bett ein hörender Besucher sitzt. Es tut gut, ein offenes Ohr zu finden. Unser Hören ist ein doppeltes Hören: mit einem Ohr demjenigen zugewandt, der mit uns spricht. Mit dem anderen Ohr Gott zugewandt, der am Reden und Hören Anteil hat. Er schenkt Verbundenheit. Er ist der Vermittler. Indem wir einem Menschen zuhören und das Gespräch zuvor und im Währenden Jesus Christus anvertrauen, hört Christus zu und gibt uns Worte, die von ihm kommen. So ereignet sich Seelsorge Gottes.
Der Prophet Jesaja stellt uns den Knecht Gottes vor: Er ist ganz Ohr für Gott und für seine Zeitgenossen. Morgen für Morgen weckt Gott ihm das Ohr. Das Ohr ist das sensibelste aller Sinnesorgane. Schon früh im Mutterleib ausgebildet und noch im Sterben empfänglich für den Zuspruch vertrauter Stimmen. Weil er von Gott gehalten wird, kann der Knecht Gottes den Menschen zuhören. Und Worte weitergeben, die er zuvor von Gott hört: Stärkung, Ermutigung, Rechtfertigung. In dieser Hingabe des Gottesknechts ist der Hinweis auf Jesu Lebenshingabe aus Liebe zu finden.
Vor uns liegt der Weg durch eine stille Woche auf Ostern zu. Wir gedenken des Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi. Er nimmt alles Leid auf sich, um es zu überwinden. Gott kommt als Entrechteter, Miss-handelter. Mit voller Wucht trifft ihn die Ablehnung. Er bejaht trotzdem die, die ihm mit Abscheu und Verachtung begegnen. Er hält stand. So wird er unser Beistand. Er schenkt Widerstandsfähigkeit in der Müdigkeit, Gegenkräfte: Wir sind bei Gott angenommen. Auch im Schweren, Unverständlichen, was nicht glatt aufgeht in unserem Lebenslauf. Wir haben in Christus einen, der uns zuhört. In seiner Seelsorge sind wir geborgen, weil er am eigenen Leib Leid und Einsamkeit erfahren hat. Durch den Heiligen Geist geht diese Haltung auf uns über. Das Ja Gottes ist da. Unser Leid ist nicht beseitigt, aber er hilft, im Leid zu bestehen. Es ist mühsam und kräftezehrend, in Konflikten und Krisen stand-zuhalten. Gott steht uns bei. Er hilft, er lässt nicht zuschanden werden. Auf ihn gesetzte Hoffnung wird nicht enttäuscht.
Gemeinde ist eine „Gehör-Schule“. Wir brauchen Hörhilfen. In unserem lauten Alltag ist es eine Wohltat: Am Morgen weckt Gott uns das Ohr und löst uns die Zunge.
Jesaja hat diesen Zuspruch Gottes in finsterster Zeit empfangen. Jochen Klepper hat im Dritten Reich das Lied gedichtet „Er weckt mich alle Morgen“ (EG 452): Ein Aufblick zu Gott, bevor der Tag uns in Anspruch nimmt. Wir brauchen zuerst den Zuspruch. Wir hören wie Nachfolgende, Lernende, die gar nicht genug -bekommen können von Lebenserfüllendem, das sich durchs Zuhören ihnen erschließt. Wir sind auf die gleiche Art in die Welt hinein gesandt wie dieser Knecht und in der -gleichen Art ausgerüstet, gestützt in der Seelsorge Gottes. Nichts und niemand kann uns verdammen, weil Gott uns rechtfertigt.
Die Patientin im Krankenhaus ist dankbar, nicht nur für Gottes Beistand bei der Operation. Sie hat seine Hilfe ihr Leben lang erfahren. Sie traut ihm zu, auch durch den Tod hindurch von ihm gehalten zu sein und bei ihm anzukommen: „Ich werde nicht zuschanden, wenn ich nur ihn vernehm!“