Zu den bedeutendsten Kunstwerken des Mittel-alters zählt für mich die Prophetenfigur, die der Florentiner Bildhauer Donatello um 1425 schuf. Die Marmorskulptur zeigt einen Propheten, der vieles von dem vereint, was im biblischen Bild auf die Propheten zutrifft: In den herben Gesichtszügen zeigen sich reiche Lebenserfahrungen, obwohl er ganz offensichtlich kein alter Mann ist. Es zeichnen sich Kämpfe und auch schmerzliche Niederlagen darin ab. Sein Blick geht in die Weite und in die Tiefe. Es wird deutlich: Er hat etwas zu sagen. Auch die Kleidung vermittelt das: So unruhig das Gewand ist, so zieht es sich doch in Stabilität und Klarheit von den Füßen bis zur Schulter.
Auch Micha war ein solcher Prophet. Die Worte, die Gott ihm auftrug, sagte er den Menschen deutlich weiter. Micha war Bürgermeister der Kleinstadt Moreschet, im damaligen Südreich, zwischen der Küste und dem Bergland gelegen. Er setzte sich für seine Bevölkerung ein, hatte ein Herz für die vielen kleinen Bauern, die nach und nach durch Großgrundbesitzer von ihrem Land verdrängt wurden. Dies war zwar rechtlich legitim, aber moralisch verwerflich, weil ihnen damit die Lebensgrundlage entzogen wurde.
Micha predigte Heil und Unheil für das Volk Israel, Worte gegen das Volk, das von Gott abgewichen war. Er predigte aber auch die großen Verheißungen, dass die Schwerter einmal zu Pflugscharen werden und so dem Lebenserhalt dienen. Außerdem wird der Messias ebenfalls aus einer Stadt des Südreichs kommen, nämlich aus Bethlehem.
In Kapitel 6 wird von einem Rechtsstreit berichtet, den das Volk Israel mit Gott führt. Israel klagt Gott an, dass er sie immer wieder verlassen habe. Gott verneint dies und sagt, er sei seinem Volk immer treu geblieben. Gott kehrt nun die Anklage um und nimmt die Natur als Zeugin an seine Seite. Nicht das tausendfache Opfern von Tieren oder gar von Menschen ist es, was Israel vor Gott gut macht, sondern es soll den Weg des Rechts gehen, den Gott ihm durch die Gesetze Moses gegeben hat. Gott erwartet, dass die Menschen das Recht einhalten, nicht andere etwa durch gefälschte Gewichte übers Ohr hauen und betrügen.
Die jüdische Tradition sieht in Micha 6,8 die Zusammenfassung aller Gebote, so wie es Jesus mit dem Doppelgebot der Liebe (Markus 12,29-31) getan hat. Im Neuen Testament zählen Propheten neben den Aposteln und Lehrern zu den Säulen der Gemeinde. Es sind Menschen, die von Gott her Ansagen machen und Kirche in die Zukunft denken.
Und 2024? Gibt es diese Propheten noch bei uns? Ja! Propheten 2024 sind Menschen, die den Auftrag sehen, sich im Leben ganz Gott zuzuwenden. Sie gehen mutig voran und schweigen nicht. Ungerechtigkeiten prangern sie an. Sie setzen sich für die Kleinen und Unterdrückten im Land ein, selbst wenn sie wissen, dass sie dafür im eigenen Leben Widerstand und Nachteile in Kauf nehmen müssen.