Impuls

Stürme des Lebens

Impuls für den 4. Sonntag vor der Passionszeit: Markus 4,35-41.

Markus 4,35-41 (in Auszügen) 

Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu ihnen: Lasst uns ans andere Ufer fahren. Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot. Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!

Pfarrerin Anja Forberg
privat
Anja Forberg ist Pfarrerin in Rottweil.

Zuerst ist es still. Kleine Boote schaukeln in den Wellen. Sie sind heillos überfüllt. Mit Frauen, Kindern und Männern, die erschöpft und verzweifelt seit endlosen Tagen auf dem Mittelmeer ausharren. Sie schweigen. Am Horizont ziehen Wolken auf. Dann wird es laut. Der Sturm kreischt, die Wellen schäumen. Wasser läuft in die Boote. Angstschreie und panische Stoßgebete sind nun zu hören. Niemand kümmert sich um diese Menschen, die drohen unterzugehen in Wogen der Gleichgültigkeit dort irgendwo im Niemandsland.

Laut schreit sie zum Himmel, die menschliche Verzweiflung. Und Gott? Gott schweigt. Er scheint zu schlafen inmitten all des Lärms. Mit den Jüngern frage ich: Interessiert dich das nicht? All die Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, weil sie so verzweifelt sind, dass sie sich in diese Gefahr bringen? Kümmert es dich nicht, dass wir hier drohen unterzugehen? Die Jünger erwarten etwas. Von Gott etwas erwarten – tue ich das? Wenn nachts die Gedanken kreisen, wenn mich mein Leben herausfordert, wenn mir gesellschaftliche und weltpolitische Entwicklungen Angst machen? Wenn kein Land in Sicht ist? Wenn es laut wird in meinem Kopf und nächtliche Schatten um mein Boot schleichen?

„Schweig! Verstumme! Und es ward eine große Stille.“ Ich stelle sie mir spannungsvoll vor. Fällt doch Über-lebensangst nicht von einer Sekunde auf die andere von einem ab; wird sie doch überdeckt vom Erschrecken der Jünger. Jesus füllt diese Stille mit einer unangenehmen Frage: Warum habt ihr so eine Angst? Habt ihr kein Vertrauen? Eine zynische Frage für die Menschen, die da auf dem Mittelmeer in löchrigen Booten einer Zukunft entgegenfahren. Aber eine Frage, der ich mich stellen muss.

Es ist eine Frage, die auch in meiner Stille schmerzhaft nachhallt. Dabei wird mir in der Stille nach dem Sturm auch bewusst: Meine Zweifel bringen mich an die Grenze meines Vertrauens – aber sie erweisen auch erst die Tragkraft meines Glaubens. Die verzweifelten Fragen an Gott machen seine Macht erst erfahrbar.

Zum Schluss ist es wieder still. Sturm und Wellen haben sich beruhigt. Am Horizont war ein Schiff aufgetaucht, das all die Menschen aus dem Wasser fischen konnte. In diesem Fall ist es noch einmal gutgegangen. So viele andere sind dort schon ertrunken. Und es wird nicht der letzte Sturm gewesen sein, der seeuntaugliche Boote ins Wanken bringt.

Laute und erbarmungslose Stürme werden weiter über unsere Welt ziehen, die Schatten werden um mein Boot schleichen. Aber nach dieser unwirklichen Erfahrung zwischen Sturm und Stille, zwischen Angst und Hoffnung, Zweifel und Vertrauen blicke ich mit den geretteten Jüngern und den Menschen auf dem Mittelmeer erleichtert und hoffnungsvoll aufs Wasser. Vielleicht müssen wir öfter versuchen, Gott zu wecken.

Gebet

Gott, du bist Stille. Stille, die mir oft kalt und gleichgültig erscheint. Aber du bist auch die Stille nach dem Sturm, die die verzweifelten Schreie in sich auf­genommen hat. Eine Stille, die alles mit Frieden erfüllt. Ich will versuchen, dich zu wecken im Sturm. Amen.

Den geistlichen Impuls für jeden Tag finden Sie im AndachtsCast.

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