Amos gilt als der erste und älteste der sogenannten Schriftpropheten. Von Beruf ist er Hirte und Maulbeerfeigenzüchter, ein einfacher Mann, kein Gelehrter, kein Priester. Um das Jahr 760 vor Christus wird er von seiner Herde weg berufen, gegen seinen Willen und ohne seine Zustimmung. Was er im Namen Gottes zu sagen hat, ist hart und unbequem.
Amos tritt im Namen eines zornigen Gottes auf. Aus seiner Heimatstadt Tekoa, nahe Jerusalem, wandert er nach Norden, nach Bethel. Dort befindet sich ein wichtiges Heiligtum, ein Zentrum des altisraelitischen Kultes. In Bethel, zu Deutsch „Gottes Haus“, haut Amos auf die Pauke. Er macht Rabatz, und zwar so entschiedenund so laut, dass man ihn auffordert, unverzüglich wieder zu verschwinden: „Du, Seher, geh weg und flieh ins Land Juda und iss dort dein Brot und weissage daselbst. Aber weissage nicht mehr in Bethel; denn es ist des Königs Heiligtum und der Tempel des Königsreiches“ (Amos 7,12f.).
Religion sei Opium des Volkes, ist viele Jahrhunderte später behauptet worden. Sie diene dazu, schlechte Verhältnisse schönzureden, notwendige Veränderungen zu verhindern und Menschen auf ein besseres Jenseits zu vertrösten. Das Buch Amos zeigt, dass es anders ist.
Euer Gott, richtet Amos seinen Hörerinnen und Hörern aus, ist nicht einverstanden mit euch. Er erträgt es nicht, was aus eurem Tempel nach oben steigt. Ihr singt, ihr musiziert, ihr opfert: aber nicht in seinem Namen. Der Gesang, die Musik, das Opfer, der Rauch: All das geht an dem, den ihr ansprecht, komplett vorbei. Dabei ist nicht euer Kult als solcher das Problem. Ihr seid das Problem. Es geht um euch, die ihr singt und opfert. Ihr feiert Gott, aber ihr lebt nicht nach seinen Regeln. „Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“
Gottesdienst und Menschendienst, Sonntag und Alltag, Glauben und Leben passen nicht zusammen. Der Apostel Paulus wird in seinem Brief an die Römer (12,1-2) vom vernünftigen Gottesdienst im Alltag der Welt sprechen. Dieser Kult duftet nicht nach Weihrauch und er löst sich nicht in ein strahlendes C-Dur auf. Er zeigt sich im Leben: im Tun des Guten und des Gerechten.
Ja: Es ärgert Gott, wenn es in unseren Gottesdiensten allein um uns selbst gehen sollte. Es nervt ihn, wenn der Maßstab sein sollte: Gut ist, was uns guttut, denn wir sind schon okay. Es geht ihm gegen den Strich, wenn wir ihm die Chance nehmen, unser Gewissen zu schärfen, unser Herz zu bewegen und uns zu verändern. Dann ist Gottesdienst am Ende nur Menschendienst, ein Kreisen um uns selbst und komplett überflüssig. „Sucht mich, so werdet ihr leben“: Auch das ist ein Gotteswort aus dem Buch des Propheten (Amos 5,4). Wir haben Gott nicht. Er lässt sich nicht vor unseren Karren spannen. Er segnet unsere Verhältnisse nicht einfach ab. Gottesdienst ist Gottsuche, ist Offenheit, ist aufmerksames Hören auf ihn. Und die Bereitschaft zu Korrektur und Veränderung.