Grundlegende Maßstäbe und Werte unserer Welt sind in den letzten Wochen und Monaten ins Wanken gekommen. Neben dem Machthaber im Osten hat ein weiterer Weltenlenker die Tugenden über Bord geworfen, die die Demokratien des Westens bisher geprägt haben. Beide wollen, dass die Staaten wieder nach dem brutalen Gesetz des Stärkeren miteinander umgehen dürfen. Beide stehen für eine hemmungslose Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen und eine knallharte Ausdehnung ihrer Staatsgebiete. Ein weiterer Krieg in Europa ist wieder eine reale Gefahr.
Aber auch in unserem Land werden die politischen Kräfte immer einflussreicher, die einem blanken Egoismus das Wort reden. Armen Menschen soll die Unterstützung gekürzt und Flüchtlingen die Aufnahme verweigert werden. Eine hartherzige Haltung greift im gesellschaftlichen Diskurs wieder um sich.
Machtbesessenheit und Hartherzigkeit – aus diesen Zutaten entstehen die Karfreitage unserer Welt: Menschen werden herabgewürdigt, ihrer Lebensgrundlagen beraubt, in Kriege gezwungen, die Tod, Zerstörung und unsägliches Leiden hervorbringen.
In diese Welt der Karfreitage hinein wird es Ostern. Wir begegnen neu der Botschaft, dass Tod und Vernichtung nicht das letzte Wort haben werden, ja, dass Gott diese Welt komplett umkrempeln wird. Eine solche Heilsvision ist uns schon beim Propheten Jesaja im 25. Kapitel überliefert. Wie lesen Sie die oben zitierten Worte? Mir ist es kaum vorstellbar in unserer Zeit, dass sich die Welt tatsächlich so grundlegend wandeln kann. Aber das war zur Zeit des Propheten Jesaja nicht anders. Auch er lebte in einer sehr gewalttätigen Welt.
Am Morgen des dritten Tages erfahren die Jüngerinnen und Jünger Jesu, dass ihr gekreuzigter Herr den Tod „verschlungen“ hat, wie es in Vers 8 der Predigtstelle heißt. Für uns Christen ist das der Beginn und der Grund unserer Hoffnung, dass durch ihn die Heilsvisionen der Propheten Israels zur Erfüllung kommen werden. An Ostern feiern wir die Verheißung einer Welt voller Leben, voller Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, wo vorher Gier und Hass, Verzweiflung und Tod waren.
Keine weinenden Eltern mehr oder Kinder, die den Tod ihrer Liebsten betrauern, sei es in der Ukraine, im Kongo oder in Israel und Gaza. Keine Demütigungen mehr, keine mörderischen Kriege, die unzählige Menschenleben verschlingen. Keinen Hass mehr auf Migranten, keine Vorwürfe gegen Menschen, die nichts leisten können. Stattdessen: ein großes Festmahl für alle Völker, Versöhnung und neue Gemeinschaft, genug zu essen und zu trinken für alle. Leben, das den Tod besiegt.
Die Worte des Jesaja sind eine Vision gegen alle Vernunft und genau das ist auch der Osterglaube. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes paradox, scheint allem zu widersprechen, was die Wirklichkeit dieser Welt tatsächlich ausmacht. Und genau deshalb ist dieser Glaube so wichtig. Ich will mich neu von ihm anstecken lassen.
Und so bleibt uns nur zu hoffen und zu beten, dass wir nicht noch einmal in eine weltweite Katastrophe schlittern, dass wir uns nicht noch einmal denen ausliefern, die einen völkischnationalen Egoismus vertreten und Weltoffenheit, Toleranz und Solidarität beerdigen wollen. Und wir sind gerufen, daran mitzuarbeiten, dass die Vision des Jesaja sich erfüllt.