Ich habe das Bild im Schlafzimmer meiner Eltern noch vor Augen: Christus als Hirte im lang gewellten Haar, der mit sanftem Blick die Schafe durch ein finsteres Tal führt. Nur wenige üben heute noch den Beruf des Hirten aus. Manchmal sieht man sie auf Fluren und Wiesen. Sie leisten harte Arbeit. Von einem Schäferidyll ist ihr Leben weit entfernt.
Im Johannes-Evangelium sagt Jesus: „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Das ist das entscheidende Kennzeichen, das den guten Hirten von den selbsternannten Hirten unterscheidet. Wenn der Wolf kommt, laufen diese davon. Wir können ein Lied von den selbsternannten Menschenhirten singen, denen es nur um sich und ihre Interessen geht. Die sich aus dem Staub machen, wenn ihr Land in Chaos, in Schutt und Asche versinkt. „Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie.“
Es ist das Kennzeichen des guten Hirten, dass er sich vor die Schafe stellt und keine gemeinsame Sache mit den Wölfen macht. Zu guter Letzt gibt der gute Hirte sein Leben für die Schafe. Stirbt selbst, damit sie leben. Ich schaue auf Jesus und verstehe: Einer hat gelitten und hat sich dem Tod ausgesetzt – für uns. Einer hat Gewalt auf sich genommen, um das Leben zu gewinnen und ist gestorben – für uns. Nur einer kann der gute Hirte sein. Gott allein. Er ist es in Christus.
Diesem Hirten möchte ich alle Last anvertrauen. Meine persönliche Last und alle Last der Welt. Die Trauer um den geliebten Menschen, die Sorge um die Gesundheit der Kinder, die Sehnsucht nach Frieden und die Angst vor dem Morgen und Übermorgen.
Noch ein Gedanke. Der gute Hirte gibt uns ein einzigartiges Versprechen: „Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen.“ Nichts kann uns aus Gottes Hand reißen. Kein selbsternannter Hirt, kein unberechenbarer Präsident, keine Krankheit, keine Verfolgung, kein Tod. Gott – und dafür bürgt Jesus – gibt die Seinen niemals auf und schenkt ihnen die Gewissheit, nicht allein zu sein, sondern in der Gemeinschaft derer zu stehen, die auf die Stimme des guten Hirten vertrauen.
Der Bonner Theologieprofessor Gerhard Krause schreibt nach der Rückkehr aus zehnjähriger russischer Kriegsgefangenschaft: „Es gehört zu den stärksten Eindrücken, dass ich in jedem Lager, in jeder Gefängniszelle, in die ich kam, eine kleine Schar von Christen antraf, die sich als Gemeinde wusste.“
Die Herde des guten Hirten ist nicht unangreifbar. Es wird immer wieder passieren, dass sie in die Irre läuft, falschen Hirten vertraut und in alle Himmelsrichtungen zerstreut wird. Aber sie findet immer wieder zusammen, hört die Stimme des guten Hirten und vergewissert sich gegenseitig, dass Gott allein ewiges Leben gibt. Ein wunderbares Bild für die Zukunft unserer Kirche.
Mögen wir immer dem guten Hirten auf dem Weg des Lebens folgen. Ihm, der versprochen hat: „Ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen.“