Impuls

Wenn man ein Kind verliert

Impuls zum 1. Sonntag nach dem Christfest: Matthäus 2,13-18.

Matthäus 2,13-18 (in Auszügen) 

Da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.

Dekan Rainer Köpf
privat
Rainer Köpf ist Dekan in Backnang.

Was für ein Kontrast: Gerade noch haben die Weisen aus dem Morgenland dem neugeborenen Jesuskind gehuldigt und jetzt schwebt es in Lebensgefahr. Gerade noch haben die Engel vom Frieden gesungen und jetzt beklagen Eltern die Ermordung ihrer Söhne. Die Geschichte dieses furchtbaren Kindermassakers passt so gar nicht in unsere süß duftenden Weihnachtsstuben. Man fragt sich, warum Gott nicht auch den anderen Vätern von Bethlehem nachts erschienen ist. Wären sie als Gewarnte nicht auch wie Josef mit ihren Familien nach Ägypten geflohen? Warum wurde nur Jesus gerettet?

Der Evangelist Matthäus erklärt uns das nicht. Er erzählt nur, was da geschieht. Der argwöhnische König Herodes, der den Kindermord anordnete, war für seine angstbestimmte Brutalität bekannt. Alle, die seine Macht auch nur vermeintlich bedrohten, ließ er umbringen. Sogar seine eigene Frau und mehrere seiner Kinder. Als er sich von den Weisen zum Narren gehalten fühlte, weil diese aus Bethlehem abgereist waren, ohne ihm Bericht zu erstatten, befiel ihn Panik. Alle Jungen bis zum Alter von zwei Jahren sollten nun in Bethlehem und Umgebung getötet werden. Hier durfte kein mögliches „Königsbaby“ groß werden. Er wollte eine lückenlose Auslöschung des Gefahrenherds.

Matthäus erzählt uns dieses brutale Vorgehen und das damit verbundene entsetzliche Leiden. Er lässt es markerschütternd erklingen in der Klage der jüdischen Stammmutter Rahel. Im Zitat des Propheten Jeremia (Jeremia 31,15) weint Rahel bitterlich um die verlorenen Kinder des Volkes Israel. Wer Ähnliches erlebt hat, kann die untröstliche Verzweiflung verstehen. Ich finde es entlastend, dass in der Bibel geklagt und Gott als „Hartköpfiger“ (so Stefan Zweig) angeschrien werden darf. Bereits auf dem weihnachtlichen Hirtenfeld hört man die bitteren Schreie von Golgatha.

Matthäus erklärt uns das Leiden nicht, aber am Ende seines Evangeliums verspricht uns der auferstandene Christus: „Siehe, ich bin bei euch.“ Er verspricht uns nicht, dass es in unserem Leben keine Brüche geben wird. Aber er verspricht uns, dass er uns in alldem, im schlimmsten Durcheinander der Welt, auch im größten Wehklagen nicht alleinlassen wird: Christus ist bei uns! Der Lieddichter Paul Gerhardt hat erlebt, wie schwer es ist, wenn man seine Kinder früh ins Grab legen muss. Die Kindersterblichkeit lag im 17. Jahrhundert bei fast 50 Prozent. Vier von Gerhardts fünf Kindern sind im Kleinkindalter gestorben. In einem Gedicht lässt er seinen Schmerz darüber anklingen: „Ach, es ist ein bittres Leiden und ein rechter Myrrhentrank, sich von seinen Kindern scheiden durch den schweren Todesgang! Hier geschieht ein Herzensbrechen, das kein Mund recht kann aussprechen.“ Trost findet Paul Gerhardt in der gnädigen Vorsehung Gottes, dem Plan der Liebe, der fest steht über den Stürmen der Zeit. Das zeigt sich auch im weiteren Verlauf des Matthäusevangeliums. Jesus wird in dieser Geschichte gerettet. Aber eines Tages wird er sterben, um uns alle zu retten und uns die Tür aufzumachen zum ewigen Leben. Deswegen singt Paul Gerhardt: „Ihn, ihn lass tun und walten, er ist ein weiser Fürst und wird sich so verhalten, dass du dich wundern wirst, wenn er, wie ihm gebühret, mit wunderbarem Rat das Werk hinausgeführet, das dich bekümmert hat“ (EG 361,8).

Gebet

Herr, wir verstehen dich oft nicht, aber wir ­wollen dir vertrauen. Höre unsere Klage und sieh auf die Trauer, die untröstlich ist. Danke, dass bei dir das Genommene lebt. Leite uns durch die Nacht zum Licht. Amen.

Den geistlichen Impuls für jeden Tag finden Sie im AndachtsCast.

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