Sonntags um 9.30 Uhr feiert Pfarrer Stiefel im Kirchenraum unter dem Dach Gottesdienst, meist feiern 30 Männer mit. In der Sakristei steht ein Schrank mit Bibeln in rund 30 Sprachen, die gern ausgeliehen werden. Außerdem betreut der Pfarrer einen Chor, der aus 15 bis 20 Sängern besteht und einmal pro Woche übt. Stiefel organisiert regelmäßig auch gemeinschaftliche Veranstaltungen wie „Kino im Knast“. Dort lief der Film „Nicht ganz koscher“, in welchem ein orthodoxer Jude einen Beduinen kennenlernt. Stiefel unterrichtet diejenigen, die ihren Hauptschulabschluss nachmachen, in Religion und Ethik. Und er spricht in Kirchengemeinden und Schulen über seine Arbeit. Die Aufgabe eines Gefängnisseelsorgers hat viele Facetten.
Wer als Gefangener mit Pfarrer Stiefel sprechen möchte, muss einen Antrag ausfüllen. Der Pfarrer hat gegenüber Ärzten, Psychologen und Betreuern einen Vorteil: das seelsorgerliche Beichtgeheimnis. Während beispielsweise die Psychologen Angaben, die bei der Aufklärung von Straftaten helfen können, melden müssen, behält Stiefel das, was ihm die Männer bei einer Tasse Kaffee oder Tee anvertrauen, für sich.
Stiefels Arbeitszimmer, in dem diese Gespräche stattfinden, ist klein. Ein Schreibtisch mit einem Computer, ein Tisch mit zwei Stühlen, Schränke. Wer durchs Fenster zum Horizont blickt, sieht den Turm der Kilianskirche.
Vor einigen Monaten war Stiefel für ein Vierteljahr in Israel, um die Arbeit der jüdischen Gefängnisseelsorger kennenzulernen.
Das hat mich auch spirituell noch einmal weitergebracht
Jochen Stiefel
Wenn Stiefel mit einem Gefangenen ein Seelsorgegespräch führt, kann es sein, dass er ihn auch nach seiner Gebetspraxis fragt. Und ob er mit oder für ihn beten dürfe. „Ich bin sehr überrascht, wie häufig dieses Angebot angenommen wird und welche positive innere Resonanz ich wahrnehmen kann.“
Nicht jeder ist für Hilfe empfänglich, nicht jeder ändert seinen Lebensweg. Etwa ein Drittel der Gefängnisinsassen ist suchtkrank. Die Sucht begleitet sie ihr Leben lang. Sie zerstört das Leben auf allen Ebenen, sozial, ökonomisch und auch gesundheitlich. „Da kann die JVA die letzte Rettung sein.“ Der Alltag im Gefängnis ist ruhiger, als es in reißerischen Kriminalfilmen gezeigt wird. Wobei Stiefel nicht verhehlt, dass es eine gewalttätige Subkultur gibt, deren Mitglieder sich abschotten. „Ich erfahre da auch nicht viel“, sagt der Pfarrer. Ihn müsse nicht jeder mögen, wohl aber respektieren.
Die Arbeit kostet viel Kraft. Einmal im Monat trifft er sich mit weiteren Gefängnisseelsorgern zur Supervision. „Da teilen wir Sorgen, Nöte und Freude.“
Wie wird man Gefängnisseelsorger? Jochen Stiefel arbeitete als evangelischer Religionslehrer an einer Berufsschule, doch das war ihm auf die Dauer „spirituell zu mager“. Als er die Stellenausschreibung für die JVA Heilbronn las, bewarb er sich und bekam den Zuschlag. „Ich bin nah bei den Menschen“, sagt er, und dass er jeden Tag dankbar sei, wenn er abends aus dem Gefängnis gehe.
Die Zusammenarbeit mit dem neuen muslimischen Seelsorger Abdulhamid Andreas Tittus sei sehr gut. Beide luden am Volkstrauertag zu einem „Interreligiösen Friedensgebet“ in den Kirchensaal ein. Stiefel denkt ökumenisch, ist für jeden ansprechbar. „Das ist ein schönes Miteinander“, sagt er.