Prälatur Stuttgart

Senf und Likör im Kloster Denkendorf

DENKENDORF – Wo bis zur Reformation fromme Chorherren beteten und später Johann Albrecht Bengel Klosterschüler unterrichtete, rauchte im 19. Jahrhundert ein Fabrikschlot: Im Denkendorfer Kloster bestand einst eine der ersten Senffabriken Deutschlands. Von Ulrike Rapp-Hirrlinger

Zeichnung der Fabrik im Kloster Denkendorf aus dem 19. Jahrhundert. Stuttgart
Pressebild/Rolf-Deuschle-Heimat­museum Denkendorf
Die Anlage mit dem alten Kloster als Fabrik in Denkendorf.

In den Gebäuden des Denkendorfer Klosters, im zwölften Jahrhundert von den Chorherren zum Heiligen Grab in Jerusalem gegründet und später evangelische Klosterschule, betrieb Friedrich Kauffmann ab 1837 eine Senf- und Likörfabrik. „Kauffmann Klostersenf“ ist vielen Menschen auch heute noch ein Begriff. Bereits 1834 hatte der junge Unternehmer in Esslingen eine Senffabrikation gegründet. Die Räume wurden zu klein und Kauffmann sah sich nach einer größeren Produktionsstätte um. Im säkularisierten Kloster waren bereits mehrere Versuche einer Produktion von Rübenzucker sowie Essig und Senf gescheitert. Kauffmann erwarb die Klostergebäude mit Ausnahme von Kirche und Pfarrhaus.

Kloster Denkendorf bereits als Fabrik genutzt

Dass bereits Anlagen für eine ähnliche Produktion wie etwa eine Ölmühle bestanden, sei sicher von Vorteil gewesen, sagt Kauffmanns Urenkelin Karin Blankenhorn. In der Familie sei das Leben im Kloster stets als idyllische Zeit beschrieben worden.

Die Familie hing unheimlich an Denkendorf

erzählt die heute 84-jährige Karin Blankenhorn

Friedrich Kauffmann machte sich daran, die vernachlässigten Klostergebäude instand zu setzen. Er legte einen Klostergarten an und pflanzte Bäume um den zuvor kahlen Klostersee.

Pressebild/Rolf-Deuschle-Heimat­museum Denkendorf
Fässer lagerten im Kreuzgarten.

Das Sortiment wurde erweitert

Die Produktion wurde ausgeweitet. Zum Senf kamen unter anderem Liköre, Schokolade oder Punsch-Essenzen. Aus alten Preislisten geht hervor, dass Friedrich Kauffmann zudem gemahlene Gewürze, Safran, Senfmehl und Essig, Weine aus Malaga und Madeira sowie Cognac und zeitweise auch Zigarren verkaufte. Die Geschäfte nahmen in Denkendorf einen lebhaften Aufschwung. Im Jahr 1871 hatte der Betrieb 24 Mitarbeiter. Kauffmann war der erste Arbeitgeber im Ort, der dauerhafte und sichere Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft zur Verfügung stellte.

Produziert wurde in den altehrwürdigen Klostergebäuden. Bilder zeigen die Dampfmaschine im ehemaligen Kapitelsaal, im Kreuzgang standen Container zum Abfüllen der Flaschen, der Kreuzgarten wurde zum Fabrikhof, auf dem Fässer und Gerätschaften gelagert wurden.

Die Krypta unter der Klosterkirche, der kühlste Raum im Kloster, wurde schon vor Kauffmann gerne als Lager genutzt. Die heilige Stätte mit dem symbolischen Grab Christi diente unter anderem als Rübenlager. Ein Besucher beschreibt um 1870 den Anblick der Fabrik mit dem rauchenden Schlot. Im Kreuzgang waberte der Duft von Weinsenf und im Klosterhof ratterten die Fuhrwerke, die ihre Fracht nach Esslingen transportieren. Während im Erdgeschoss des Klosters die Fabrik untergebracht war, bewohnte die Familie Kauffmann die oberen Stockwerke.

Klosteranlage in Denkendorf von oben
Foto: Manfred Grohe
Das Kloster Denkendorf heute.
Friedrich Kauffmann
Pressebild/Rolf-Deuschle-Heimat­museum Denkendorf
Friedrich Kauffmann (1811-1874) leitete die Senf- und Likörfabrik im Kloster Denkendorf.

Gute Qualität der Kauffmann-Produkte

Das Geschäft florierte: Kauffmanns Produkte seien für ihre gute Qualität bekannt gewesen, deshalb habe er sich gegen die Konkurrenz durchsetzen können, schrieb einst Karin Blankenhorns Vater Rolf Kauffmann anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Firma. Bis in die Schweiz, nach Wien oder Paris wurden die Produkte aus Denkendorf verkauft.

Doch wahrscheinlich trug auch Friedrich Kauffmanns Charakter zum Erfolg der Firma bei. Eine stattliche Erscheinung soll der hochgewachsene, beleibte Mann gewesen sein: humorvoll, aktiv, bärenstark und gesellig – „ein volkstümlicher Typ“, wie seine Urenkelin sagt. Er reiste viel, um seine Geschäfte höchstpersönlich abzuschließen. Gerne habe Kauffmann seine Kunden auch ins Gasthaus eingeladen, um nach einem guten Essen die Verträge zu machen, erzählt Blankenhorn.

Nach dem plötzlichen Tod von Friedrich Kauffmann 1874 mit nur 62 Jahren übernahm seine Witwe Barbara Plank, genannt Babette, die Firmengeschäfte zeitweise mit einem Teilhaber. Die resolute und emanzipierte Frau hatte nach vielen Fehlgeburten nur einen Sohn. Carl war beim Tod seines Vaters noch klein. 1890, mit nur 24 Jahren, übernimmt er schließlich die Firmenleitung.

Leben im Kloster Denkendorf

Für Carl Kauffmanns fünf Söhne sei das Kloster ein Kinderparadies gewesen, erzählt Karin Blankenhorn. Sie konnten im Klosterhof nach Herzenslust toben – zuweilen zum Missfallen des Pfarrers im gegenüberliegenden Pfarrhaus. Die paradiesische Kindheit im Kloster schilderte später einer der Jungen, der Schriftsteller Fritz Alexander Kauffmann, in seinem Roman „Leonhard – Chronik einer Kindheit“.

Und auch sein Bruder Rolf, Karin Blankenhorns Vater, der später lange die Firmengeschäfte leitete, hing sein Leben lang am Kloster. Doch die Idylle hatte ihre Schattenseiten: Um in die höhere Schule zu gehen, mussten die Jungen mit der Kutsche nach Esslingen gebracht werden.

Dass es keine Bahnanbindung gab, war auch für die Logistik schlecht. Mit Pferdefuhrwerken mussten die Waren transportiert werden. Immer wieder gab es von Kauffmann Vorstöße, die Eisenbahn nach Denkendorf zu bringen. Als sie scheiterten, übersiedelte die Firma 1905 nach Ebersbach und verkaufte die Klostergebäude an den Staat.

Der Abschied fiel der Familie schwer, sie trauerte Denkendorf immer nach.

berichtet Karin Blankenhorn

Auf dem Denkendorfer Friedhof findet sich noch heute das kunstvolle Grabmal von Friedrich und Babette Kaufmann.

Foto: Ulrike Rapp-Hirrlinger
Das Grabmal von Friedrich und Babette Kaufmann auf dem Denkendorfer Friedhof.

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