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PRÄLATUR STUTTGART

Tiere im Mittelpunkt: Ein Wuff für die Schöpfung

Das Leid von Tieren in der heutigen Welt steht im Mittelpunkt der ­Passionsandachten, die noch bis 16. April in der Stuttgarter Leonhardskirche stattfinden. Von Uta Rohrmann

Stuttgart
Unsplash/Anna Dudkova

Ein ungewöhlicher Gottesdienst: Hunde in der Kirche

drei Frauen sitzen in einer Kirche nebeneinander. Vor der Frau ganz rechts liegt ein Hund
Uta Rohrmann
Brav liegt der Hund auf seiner Decke während des Gottesdienstes

Es ist Sonntagmorgen. Die Stuttgarter Leonhardskirche hat ihre Pforten schon eine Stunde vor Gottesdienstbeginn für alle geöffnet. Freundliche Männer und Frauen schenken kostenlos Kaffee und Tee aus. Das Angebot der Vesperkirche wird sehr gut angenommen – die unterschiedlichsten Menschen sitzen sich an den Tischen gegenüber.

Gegen 10 Uhr wird es ruhiger, die beiden Stuhlreihen, die vorne in Altarnähe stehen, füllen sich mit Gottesdienstbesuchern. Auch Hunde betreten das Gotteshaus – die sind samt Frauchen und Herrchen heute ausdrücklich eingeladen.

Zu ihnen gehört Zelda, einst eine namenlose rumänische Straßenhündin, jetzt zuhause bei Birgit. Unter der liebevollen Zuwendung seiner Besitzerin hat der Mischling, der mit acht Monaten über eine Tierschutzorganisation nach Deutschland gekommen ist, seine Angst verloren. Jetzt ist Zelda dreieinhalb und traut sich, an der Leine ihres Frauchens einen neuen Ort zu betreten.

Birgit breitet die weiße Kuscheldecke vor ihrem Stuhl in der vorderen Reihe aus, Zelda nimmt Platz und begrüßt mit einem kurzen, leisen Hallo-Wuff einen weiteren Vierbeiner, der gerade den Gang entlangkommt. Birgit ist keine regelmäßige Kirchgängerin – wie viele andere auch versteht die Mutter eines erwachsenen Sohnes den Sonntag als Tag für die Familie; sonntagvormittags ist Zeit für einen ausgiebigen Hundespaziergang. Und es sei ja auch nicht die Regel, dass Hunde in die Kirche mitgenommen werden könnten. Nun hört Zelda erstmals eine Orgel – Enzo Pedretti spielt den „Karneval der Tiere“ und wird die Suite auch als Zwischenspiel und Nachspiel wiederaufnehmen.

Die "Tier-Mensch-Team"-Initiative: Ein neues Projekt

Das „Tier- Mensch-Team“ (von links): Monika Feil, Kathinka Kaden und Benedikt Jetter stehen in Talaren nebeneinander
Uta Rohrmann
Das „Tier-Mensch-Team“ (von links): Monika Feil, Kathinka Kaden und Benedikt Jetter.

Das „Tier-Mensch-Team“ der Leonhardskirche tritt als solches heute erstmals öffentlich in Erscheinung. Vorgedacht haben die Wirtschafts- und Sozialpfarrerin Kathinka Kaden, Prädikantin Monika Feil und Benedikt Jetter, Pfarrer an der Leonhardskirche sowie Hospital- und Citykirche, schon längere Zeit.

Mit ihrem Tierschutzanliegen können sie sich auf eine bald 200-jährige Tradition in der Leonhardskirche berufen. Der Pfarrer und bedeutende Liederdichter Albert Knapp gründete 1837 den deutschlandweit ersten und weltweit zweiten Tierschutzverein, inspiriert durch seinen Kollegen und Freund Christian Adam Dann, der ebenfalls an der Leonhardskirche tätig war. Die Initiative wurde zum Vorbild für viele weitere Tierschutzvereine, die sich 1881 zum Deutschen Tierschutzbund zusammenschlossen, zu dem heute etwa 740 Vereine mit über 800.000 Mitgliedern zählen.

Eine Botschaft für Menschen und Tiere

In der traditionell gehaltenen Liturgie des Gottesdienstes stehen Kirchenlieder und Bibelabschnitte im Fokus, die das Anliegen aufnehmen. So heißt es in dem gemeinsam gesprochenen Psalm 36: „Herr, du hilfst Menschen und Tieren“, in der  Schriftlesung aus Römer 8, dass sich die gesamte Schöpfung nach Erlösung sehnt. Nicht zuletzt kommt Gottes Zuwendung selbst für kleinste Tiere, wie „Mücklein“ und „Fischlein“ in dem bekannten Kinderlied „Weißt du, wie viel Sternlein stehen“, zum Ausdruck, das als Segensstrophe zum Abschluss gesungen wird. Ihre Predigt richtet Pfarrerin Kathinka Kaden an die „liebe Menschen- und Nichtmenschen-Gemeinde“. Der Karneval, an dem sich viele Menschen gerne als Tiere verkleideten, könne zum Anlass dienen, um deren Perspektive einzunehmen und zu vertreten – zum Beispiel, dass sich ein Schwein nach mehr Platz zum Leben und Sonnenstrahlen sehne. Tiere verkörperten oft Eigenschaften, die Menschen gerne hätten – die Geschmeidigkeit der Katze, die Majestät des Löwen oder die makellose Eleganz des Delfins.

Für Tierwürde und Tiergerechtigkeit

Einige technische Neuerungen hätten die Menschen der Tierwelt abgeschaut, weiß die Pfarrerin des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt. Der Mensch habe sich an ein Ausrottungswerk gemacht, unter dem letztendlich alle litten. Für Tierwürde, Tiergerechtigkeit und für die Überwindung der gedanklichen Trennung in Mensch und Nichtmensch werde man in den nun folgenden Tier-Mensch-Passionsandachten beten, die in Zusammenarbeit mit verschiedenen Tier- und Naturschutzinitiativen stattfinden. Tiere dürfen da allerdings – bis auf die Abschlussveranstaltung im Freien – nicht dabei sein.

Zum Abschluss gibts Leckerli

Die Hunde, die im Gottesdienst dabei waren, haben sich allesamt hochanständig verhalten und bekommen jetzt im Chorraum noch ein Leckerli. Sowie, samt Frauchen oder Herrchen, noch einen Segen für die Tier-Mensch-Beziehung.

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