Suchprävention

Alkoholsucht: "Mit 2,7 Promille durch Ulm"

Hermann Gottschall wäre wegen seiner Alkoholabhängigkeit fast obdachlos geworden. Nun leistet er in Schulen Präventionsarbeit. Von Brigitte Scheiffele

Junger Mann mit Bierglas in der Hand sitzt auf einem Sofa Ulm
unsplash+/Getty Images
Etwa 1,5 Millionen Menschen in Deutschland sind von Alkoholsucht betroffen (Symbolbild).

Hermann Gottschall wurde selbst in jungen Jahren zum Alkoholiker und nach einer Therapie auch noch einmal rückfällig. Seit 35 Jahren lebt er jedoch abstinent. Als ehrenamtlicher Suchthelfer brachte er jahrelang das Thema „Alkohol und Sucht“ in die Klassenzimmer, suchte unermüdlich den Kontakt zu Schülern und erzählte dabei auch über sein eigenes Leben.

Ich saß mit 2,7 Promille in der Fußgängerzone in Ulm und war bereit, alles hinzuwerfen.

sagt Hermann Gottschall

Hermann Gottschall sitzt auf einem Stuhl.
Foto: Brigitte Scheiffele
Hermann Gottschall ist trockener Alkoholiker und engagiert sich in der Suchtprävention.

Alles drehte sich um Alkohol

Es ist ruhig im Klassenzimmer der Anne-Frank-Realschule in Laichingen, eine Stecknadel könnte man fallen hören. Gottschall spricht unaufgeregt, leise von seinem ersten Kontakt als eher schüchterner Junge mit Alkohol. Bis das Bier zum Lockerwerden nicht mehr reichte, vom Bedürfnis nach dem Rauschzustand hin zum überproportionalen Konsum. „Alles drehte sich um Alkohol und ich war bereit, ein Wohnsitzloser zu werden und meine Führungsposition zu verlieren. Ich weiß nicht, was mich dazu brachte, in der Ulmer Hirschstraße aufzustehen und in ein Pfarrhaus in der Oststadt zu laufen. Als hätte mich eine Stimme gewarnt, Frau und Kinder nicht im Stich zu lassen." An diesem Abend erfährt er Ersthilfe vom dortigen Pfarrer.

Drogenkonsum in Laichingen

„Es ist kein Ding, hier an Drogen zu kommen, das weiß jeder, weil sie bereits von 16-Jährigen verkauft werden“, benennt er die aktuellen Gefahren in der Leinenweberstadt Laichingen. „Doch was ist was? Und was ist besonders hart?", lautete die Frage eines Schülers.

Abgesehen davon, dass Drogen illegal sind, weil sie unters Betäubungsmittelgesetz fallen, warnt Gottschall besonders vor chemischen Drogen wie LSD, Speed, MDMA oder Crystal Meth. „Sie werden aus Abfallprodukten produziert und unter anderem sind Substanzen wie Batteriesäure beigemischt. In kürzester Zeit machen sie abhängig.“ Ein Crystal-Meth-Rausch könne bis zu elf Tagen durch den Körper gehen. Ausgelöst durch das Gehirn komme er immer wieder.

Gottschall: "Alkohol macht fett, dumm und impotent"

Weder bei Drogen noch bei Alkohol nimmt Gottschall ein Blatt vor den Mund: „Alkohol macht fett, dumm und impotent. Fett, weil Alkohol viele Kalorien hat und das Fett im Körper bindet. Dumm, weil Alkohol für das drastische Absterben von Gehirnzellen sorgt, noch bevor es mit rund 20 Jahren ausgereift ist“, so seine Ansage. Der Rest liege auf der Hand: „Wie soll in Sachen Potenz noch was gehen mit dickem Kopf und betäubten Nerven?“

„Was also ist gut am Alkohol und was schlecht?“, fragt Gottschall die Klassengemeinschaft. „Man kann damit Spaß haben und alles vergessen“, sagt ein Schüler. Ein anderer: „Er hilft der Verdauung.“ Weiter: „Alkohol sorgt für lustige Erlebnisse und Gefühle bei Trinkspielen.“ Und: „Mit Alkohol gehen Probleme weg.“

Alkohol sei zu teuer, schädigt die Gesundheit und Schnaps sorge für einen Kater oder unkontrollierte Gefühle, äußern ein paar Jungs. Dem nicht genug: „Es besteht Suchtgefahr, Organe werden geschädigt. Es gibt aber auch einen Gruppenzwang“, berichtet ein Schüler. Weiter noch: Alkohol sorge für Orientierungsprobleme, Vergesslichkeit und im Rausch sei mal einer gegen das Garagentor gefahren.

Alkoholismus ist unheilbar

Frage aus der Klasse an Gottschall: „Wie wird ein Süchtiger wieder gesund?“ Der antwortet: „Alkoholismus ist eine anerkannte Krankheit. Sie kann nur zum Stillstand gebracht werden und wird niemals geheilt.“ In Deutschland gibt es circa zwei Millionen Alkoholkranke und 2,3 Millionen Menschen, die von Medikamenten abhängig sind. Dazu kommen 0,6 Millionen Drogenabhängige. „Multipliziert die Zahl mit zwei, dann habt ihr auch die Dunkelziffer dabei“, sagt Hermann Gottschall.

Ab wann ist man alkoholabhängig?

„Wie merkt man, dass man abhängig wird?“, lautet eine weitere Frage. Zum einen startet die Suchtkarriere damit, dass Menschen regelmäßig trinken, andererseits reagieren nicht alle gleich und auch das ist tückisch. „Die Gefahr daran ist, dass man es nicht merkt, denn es fängt langsam und schleichend an“, warnt der Suchthelfer.

Die voralkoholische Phase dauert etwa zwei Jahre: Dabei entwickelt sich aus gelegentlichem Trinken ein dauerndes Trinken. Für das sogenannte „Erleichterungstrinken“ wird die Toleranz für den Konsum von Alkohol nach und nach erhöht. Beispiel: „Das tut mir gut, um runterzukommen“ oder „Ich trink nochmal eins, dann kann ich besser schlafen.“

Die zweite Phase gilt als Vorläufer der Sucht und dauert bis zu fünf Jahren. Es wird auch heimlich und gieriger getrunken. Die Gedanken drehen sich dauerhaft um Alkohol. Es entstehen deswegen Schuldgefühle. Das Verlangen nach Alkohol wird unwiderstehlich. Es gibt Gedächtnislücken.

Die dritte Phase zeigt bereits nach dem ersten Glas einen Kontrollverlust: Man kann nicht mehr aufhören. Noch ein Schluck, noch ein Glas. Ausreden vermehren sich und die soziale Belastung nimmt zu. Nach außen ist die Selbstsicherheit übergroß, aber das Verhalten wird aggressiver.

Weitere mögliche Auswirkungen in der dritten Phase:

  • Schuldgefühle sind dauerhaft
  • Abstinenzzeiten werden geplant
  • Das Trinksystem verändert sich
  • Feindseligkeiten spielen eine Rolle
  • der Arbeitsplatz wird gewechselt oder geht verloren
  • Interessen lassen nach
  • Familienleben verändert sich

Grundloser Unwille, die Sicherung des Vorrats, Potenzstörungen und Eifersucht gehen damit einher. „Niemand trinkt Alkohol, um davon abhängig zu werden, und niemand wird zufällig suchtkrank“, endet Gottschall. „Immer spielt die Lebensgeschichte mit individuellen Prägungen eine entscheidende Rolle. Aber durch regelmäßigen Konsum gewöhnen sich Körper und Gehirn an das Nervengift. Und das Gedächtnis lernt, wie Alkohol in belastenden Situationen scheinbar hilfreich wirkt, weil Nerven betäubt werden.“

Hermann Gottschalls Erfolge in der Suchthilfe

Im Rückblick spricht Gottschall über eine große Aufgeschlossenheit in Schulklassen. „Sie haben immer mitgemacht, was mich wirklich gefreut hat. Ich hatte die Rolle wie ein Opa, auf den man hört“, fügt er hinzu. Die Offenheit, das wirkliche Interesse an der Thematik, habe ihn immer wieder motiviert, weiter für Aufklärung zu sorgen.

Allerdings hätten ihn auch gesenkte Blicke betroffen gemacht und das Gespür dafür, dass Alkohol in manchen Elternhäusern durchaus Thema sei.

Niemand spricht wirklich über das Konsumverhalten von Eltern, aber drei Schüler haben daheim den Vorschlag gemacht, doch mal in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. Letztes Jahr habe ich sogar erlebt, dass ein betroffenes Elternteil kam.

sagt Hermann Gottschall

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