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Prälatur Ulm

Blaubeuren im Nationalsozialismus: Zwischen Widerstand und Deutschen Christen

BLAUBEUREN – Ehrenamtliche haben die NS-Zeit in Blaubeuren aufgearbeitet. Führungen fanden an die Orte statt, an denen die Nationalsozialisten besonders gewütet haben. Von Margot Autenrieth-Kronenthaler

Ulm
Margot Autenrieth-Kronenthaler
Bei der Führung an die Orte, an denen die Nazis besonders wüteten. Der zweite von links ist Michael Hermann.

Wer sich für Blaubeuren in der Zeit des Nationalsozialismus interessiert, der wird in keinem der zwei Blaubeurer Heimatbücher fündig, obwohl beide in der Nachkriegszeit verfasst wurden. Achtzig Jahre nach Kriegsende und in einer Zeit des Wiedererstarkens rechten Gedankenguts haben sich drei Ehrenamtliche der Aufarbeitung angenommen. Michael Hermann gibt Führungen durch Blaubeuren, um die Geschichte und Geschichten lebendig werden zu lassen, die mit der dunklen Zeit von 1933 bis 1945 in Verbindung stehen. Dabei legt er den Focus auf die Kirche.

Die Anfänge des Nationalsozialismus in Blaubeuren

Blaubeuren war als Hochburg der Nationalsozialisten bekannt. Auch die Deutschen Christen, eine rassistische, antisemitische und nationalsozialistische Strömung innerhalb des Protestantismus, waren stark vertreten. Dies belegt etwa die Tatsache, dass Blaubeuren als eine der ersten Städte überhaupt, Hitler schon am 22. März 1933 zum Ehrenbürger ernannte.

privat
Pfarrer Rudolf Fritz in den 90er Jahren.

Blaubeuren bei Pfarrern besonders unbeliebt

Deshalb war die Pfarrstelle in Blaubeuren in der Pfarrerschaft überhaupt nicht begehrt, wie sich Pfarrer Rudolf Fritz in einem Interview in den 1990er Jahren erinnerte. Er wurde dann in die Blautopfstadt versetzt, „obwohl er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte“ und war dort von 1936 bis 1941 Pfarrer.

Als er abends ankam, fand gerade eine Demonstration der SA vor dem Dekanat statt, weil die Kirchengemeinden im Bezirk sich unter Dekan Theodor Hermann weigerten die Kinderschulen unter die NS-Verwaltung zu stellen. Hermann war in Blaubeuren Dekan von 1931 bis 1947. Er wie auch bald Pfarrer Fritz standen auf der Abschussliste der Nazis. Gottesdienste und Kreise wurden bespitzelt, Gemeindeversammlungen gestört, der Religionsunterricht durch Weltanschauungsunterricht ersetzt.

Pfarrer Rudolf Fritz leistete Widerstand gegen die Nazis in Blaubeuren 

In der Reichsprogromnacht im November 1938 wurden mangels Synagoge oder jüdischer Bevölkerung die Scheiben im Dekanat eingeschlagen. Pfarrer Fritz war als Kurier der oppositionellen Bekennenden Kirche unterwegs und versorgte die Pfarrämter rundum mit Post der württembergischen Kirchenleitung. Er selber bezeichnete sich rückblickend als „meistgehassten Mann Blaubeurens.“ Wurde er doch öffentlich beschimpft, bespuckt und in der Presse verunglimpft.

Historisches schwarz-weiß Foto (1933) von einer Gruppe junger Männer
privat
1933 beim Wiederaufbau des Horsts: Links Hans Hermann mit Freunden, die nahezu alle im Krieg ums Leben gekommen sind.

Blaubeurer Kerngemeinde hält zusammen

Rückhalt fand er in einer kleinen, treuen Kerngemeinde. Unter ihnen etwa auch Hans Hermann, der Großvater von Michael Hermann. Der Maschinenschlosser war in der Wandervogelbewegung und bei den christlichen Pfadfindern, einem Teil des CVJMs in Blaubeuren.

In einer Hütte, dem „Horsthäusle“ oder „Horst“ oben am Talhang auf dem elterlichen Grundstück traf sich die junge Gemeinde schon seit Beginn der 1930er Jahre. Als die Hütte abgebrannt war baute Hans Hermann sie mit den Jugendlichen wieder auf.

„Das Horsthäusle”: Wichtiger Ort des Widerstands in Blaubeuren

Eine enge Gemeinschaft entstand, die auch viele Kontakte zu den Blaubeurer Seminaristen pflegte. Im Horst trafen sich Jungschar und Jugendkreise, es wurden christliche Heim- und Bibelabende abgehalten. „Dieser Krieg ist längst verloren“, dieser Satz unter Arbeitskollegen reichte, um Hans Hermann 1943 als verheirateter Mann mit fünf Kindern ins Gefängnis zu bringen. Wegen „defätistischer“ und „wehrkraftzersetzender“ Äußerungen wurde er am Arbeitsplatz inhaftiert und saß für acht Wochen im Untersuchungsgefängnis in Ulm. Seine Familie erfuhr nichts über sein Schicksal. Ein ehemaliger Seminarist und Freund aus der Horsthäusle-Gruppe konnte als Offizier und Frontkämpfer seine Entlassung aus der Haft bewirken.

Deutsche Christen: Rassistische Gruppierung wollte Kirche verändern

Die Seminare waren schon bald nach der Machtergreifung der Nazis 1933 gefährdet. Kultminister Christian Morgenthaler sah in ihnen „einen Fremdkörper im NS-Staat.“ In Blaubeuren war Fritz Veigel von 1931 bis 1934 Stadtvikar und Repetent am Seminar, sowie Mitglied im Kirchengemeinderat. Er war Vorreiter der Deutschen Christen, bereits als Schüler hatte er sich als „Apostel Hitlers“ gefühlt.

Die Machtübernahme der Nazis nahm Veigel als „Gotteswunder der deutschen Er­rettung“ wahr und als Chance der „Verjüngung und Gesundung der Kirche“ (Zitate aus Veigels 1933 erschienenem Buch: Die braune Kirche). Er berichtet 1933 dem Kirchenpräsidenten von seinen Plänen, durch einen Zusammenschluss junger, dem Nationalsozialismus aufgeschlossener Theologen die Grundlage für einen neuen Pfarrerstand zu schaffen. Im Brief freute er sich „über politische Schulungsabende unseres Seminar-SA-Trupps.“

Aufnahme des Klosters Blaubeuren von Außen.
Gemeindeblatt-Archiv
Das Kloster Blaubeuren, in dem sich auch das Seminar befindet.

Evangelisches Seminar Blaubeuren wurde beschlagnahmt

Im Juli 1941 wurde das Blaubeurer Seminar beschlagnahmt, um darin eine Heimschule einzurichten, die Führungspersönlichkeiten im Geiste des Nationalismus heranziehen sollte. Die Landeskirche unter Landesbischof Theophil Wurm versuchte sich zu wehren, jedoch erfolglos. Ehemalige Blaubeurer Seminaristen, wie der Freundeskreis um Pfarrer Otto Mörike und dessen Frau Gertrud halfen Juden auf der Flucht, indem sie sie in württembergischen Pfarrhäusern unterbrachten.

Mörikes Schulfreund Julius von Jan, Pfarrer in Oberlenningen hielt 1938 eine mutige Bußtags-Predigt, in der er die Reichsprogromnacht kritisierte. Dies hatte schwerwiegende Folgen für ihn. Er wurde misshandelt, verhaftet und aus Württemberg ausgewiesen. Nachdem die amerikanischen Besatzungstruppen das Seminar räumten, wurde es im Juli 1946 in Anwesenheit von Landesbischof Wurm wieder feierlich eröffnet.

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