Rosch ha-Schana

Jüdisches Leben in Ulm

ULM – Wie lebt es sich als Rabbiner, der täglich in der Synagoge ist, die vor wenigen Jahren Ziel eines Anschlags war? Shneur Trebnik berichtet. Von Dagmar Hub

Ulm
Unsplash/Victoria Strukovskaya
Rabbiner Shneur Trebnik
Foto: Dagmar Hub
Shneur Trebnik ist Rabbiner in Ulm.

Shneur Trebnik ist seit dem Jahr 2000 Rabbiner in Ulm – in einer Stadt, in der mit Unterbrechungen durch Pogrome und den Nationalsozialismus seit 800 Jahren gelebtes Judentum existiert. Geboren wurde er in Israel, studiert hat er in New York und Melbourne.

Als württembergischer Polizeirabbiner versucht er, Polizeibeamten zu vermitteln, was jüdisches Leben in Deutschland bedeutet, er ist Mitglied und einer der Sprecher im Ulmer Rat der Religionen, der zum friedlichen Zusammenleben der Religionen und zur Verständigung untereinander beitragen will. Mit Antisemitismus hat er dennoch täglich zu tun, sagt der 48-Jährige, und er kämpft dagegen an – zum Beispiel bei Synagogenführungen mit Schulklassen.

Warum nimmt Antisemitismus zu?

Wenn es dem Menschen schlechter geht, sucht er einen Sündenbock.

sagt Shneur Trebnik

Es sei eine uralte Menschheitserfahrung, dass der Einzelne in einer solchen Situation konstatiert: „Mein Umfeld kann nicht schuld sein, also muss es der andere sein.“ Zudem, so Trebnik, tragen die sozialen Medien nicht unerheblich zum Problem bei, gerade in einer gespaltenen Gesellschaft.

Der Mensch neige dazu, einfache Lösungen zu suchen. Und wenn dann in den sozialen Medien ein Influencer auftritt, der mit einem 15-Sekunden-Video Klartext zu reden scheint und schnelle Lösungen parat hat, die plausibel scheinen, dann findet er jede Menge Follower – zumal wenn er gut aussieht.

Juden als Sündenböcke

Lesen, gründlich informieren, sich intensiv mit Sachverhalten auseinandersetzen, das vermisst Shneur Trebnik in der Gesellschaft oft. Wenn die politische Mitte derzeit keine klaren Lösungen anbieten könne, tendierten viele Menschen zu den politischen Rändern und lehnen ab, was anders ist, sagt er. „Menschen jüdischen Glaubens, Menschen, die anders denken, Menschen, die anders aussehen, oder Menschen, die eine andere Religion haben.“

Für Naivität gebe es scheinbar keine Grenze, fürchtet Trebnik angesichts der Pro-Palästina-Demonstrationen, die von Menschen aus dem politisch linken Spektrum und von Muslimen organisiert werden. „Bin ich im falschen Film?“, habe er sich gefragt.

Solange es Probleme gibt auf der Welt, wird es Menschen geben, die behaupten, sie könnten ein Problem in fünf Minuten lösen.

sagt Shneur Trebnik

Menschen jüdischen Glaubens wirkten derzeit als „Selbstschutz-Schublade“ für viele, stellt Shneur Trebnik fest, als Mittel eines „Es trifft mich nicht“-Mechanismus, der ermöglicht, zu sagen: „Die Juden haben ein Problem mit Islamismus, mit Rechtsextremismus und mit Linksextremismus.“

Polizei sensibler für Antisemitismus

Es gibt aber auch Ansätze, die ihm Hoffnung geben: „Bei Justiz und Polizei hat sich gegenüber den letzten Jahren etwas geändert.“ Beim Brandanschlag auf die Synagoge vor drei Jahren sei klar gewesen: Der Täter darf nicht straffrei ausgehen, er muss ermittelt werden – was auch gelang, obwohl der Mann nach der Tat in die Türkei geflohen war. Der Täter wurde bei seiner Rückkehr zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das sei auch ein wichtiges Signal für potenzielle Nachahmer, egal, welcher Couleur, sagt Trebnik. „Es bedeutet: Probier es nicht selbst!“

Lösung: Gegen Ausgrenzung vorgehen

Sieht er selbst eine Lösung? Einen Ansatz habe er, erklärt Trebnik. Einen Ansatz, den er besonders jungen Synagogenbesuchern predigt: „Mobbing ist ein Teufelskreis. Der Täter ist ein Täter, und oft genug wird das Opfer dann umgekehrt selbst zum Täter gegenüber Schwächeren.“ Aber jeder könne dazu beitragen, in seinem persönlichen Umfeld, dass die Welt ein kleines bisschen friedlicher wird: gegen Mobbing vorgehen, abfälligen Bemerkungen entgegentreten im eigenen Umfeld, sich nicht in den Teufelskreis ziehen lassen.

Grußworte zu Rosch ha-Schana

Die vier großen Kirchen in Baden-Württemberg bekräftigen ihre Haltung zum Judentum anlässlich des jüdischen Neujahrsfests Rosch ha-Schana.

Wir werden auch weiterhin judenfeindlichen Äußerungen klar widersprechen und in unseren Kirchen Antisemitismus in jeder Form in aller Klarheit entgegentreten

Evangelischen Landeskirchen in Baden und Württemberg, Diözese Rottenburg-Stuttgart und Erzdiözese Freiburg

Die Kirchen erinnerten auch an die Gräueltaten der Hamas am 7. Oktober vergangenen Jahres, bei denen rund 1200 Menschen ermordet wurden. „Das Pogrom und seine Folgen machen uns immer noch fassungslos“, heißt es in der Mitteilung. Bedrückt nähmen die Kirchen wahr, wie verheerend die Auswirkungen auch auf die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik seien.

Das Neujahrsfest Rosch ha-Schana („Haupt des Jahres“) wird in den jüdischen Gemeinden weltweit am 2. Oktober gefeiert. Es erinnert Juden an den Bund zwischen Gott und dem Volk Israel.

epd

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